Es ist viel geschrieben worden über das angeblich schlechte Verhältnis zwischen Diego Simeone, genannt „El Cholo“, und Jürgen Klopp. Alles begann 2020 im Achtelfinale der Champions League, als Klopp mit dem FC Liverpool nach zwei Niederlagen (0:1 und 2:3) in der Pressekonferenz öffentlich über die defensive Taktik Atléticos sinnierte: „Mit der Qualität, die sie haben, könnten sie richtig gut Fußball spielen“, sagte Liverpools Trainer, „und nicht nur in ihrer eigenen Hälfte rumstehen und auf Konter warten.“ Schon nach dem Hinspiel habe er sich außerdem gefragt, ob Simeone wohl etwas vom Spiel gesehen habe. Er habe ja die meiste Zeit mit dem Rücken zum Spiel auf die Tribünen geblickt.
Der Argentinier fand das nicht die feine englische Art, und auch wenn Klopp mehrmals versucht hat, alles geradezurücken: Gute Freunde werden die beiden wohl nicht mehr. Auch an diesem Mittwoch (21.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Champions League und bei DAZN) trifft Simeone im Viertelfinale der Champions League auf einen Gegner mit einem völlig anderen Spielverständnis. Manchester City hat mit dem Ballbesitzfußball von Pep Guardiola das Abwehrbollwerk Simeones im Hinspiel nur knapp überwunden, 1:0 stand es am Ende. Doch Guardiola klagt nicht.
„El Cholo, bevor er Trainer bei Atlético wurde, kam einige Tage zu uns ins Training nach Barcelona, es war wunderbar“, erzählte Pep Guardiola vor einigen Jahren im spanischen Fernsehen. Simeones Reaktion auf das Training war: „Das gefällt mir überhaupt nicht, das fühle ich nicht.“ Und Guardiola war gar nicht beleidigt und wählte einen in der spanischen Sprache ganz besonderen Superlativ: „Ostia, wie gut ist das denn! Genau darum geht es doch!“ Gemeint war: Trainer wählen nicht nur taktische Varianten, sie sind Autoren ihrer Mannschaft.
„Das wird auch in 100.000 Jahren noch so sein“
In der Vorstellung, dass hinter jeder Taktik eine Überzeugung stecken muss, sind Guardiola und Simeone wohl tatsächlich Seelenverwandte. Auch wenn es völlig andere Spielideen sind und Guardiolas geduldiger Kurzpassfußball auf Simeones Abwehrschlachten trifft. Dabei fragt sich nicht nur Klopp, ob Atlético nicht anders spielen könnte, was für ein wunderbarer Offensivfußball es wohl wäre, würde Simeone seine zwei schnellen Spitzen Griezmann und João Félix mal von der Leine lassen, gefüttert mit Bällen von technisch starken und erfahrenen Spielern wie Koke im Mittelfeld.
Doch selbst wenn Simeone dies einmal zulässt, scheint er es schnell wieder zu bereuen. Im Hinspiel des Viertelfinals der Champions League gegen Manchester City ging Atlético mit einer 5-3-2-Taktik aufs Feld. Doch noch in der Anfangsphase fand er, dass seine Defensive so nicht gut stand und beorderte seine beiden Außenstürmer nach hinten.
So spielten die „Skyblues“ aus Manchester gegen einen doppelten Abwehrblock aus je fünf Spielern, hatten 70 Prozent Ballbesitz, neun Ecken, gewannen auch fast 60 Prozent der Zweikämpfe. Doch ein Tor wollte lange nicht fallen. Erst 20 Minuten vor Schluss gelang Foden ein Pass durch unzählige Abwehrbeine hindurch in den Strafraum. De Bruyne schob überlegt zum einzigen Tor des Abends ein.
Die Trainer gingen im Anschluss nett miteinander um, klagten mit keiner Silbe: „Sie sind die Meister im Verteidigen, stehen sehr kompakt hinten“, lobte Guardiola nach dem schweren Spiel. „Seit dem Altertum wissen wir, dass es gegen so ein Team sehr schwer ist, ein Angriffsspiel aufzuziehen. Und das wird auch in 100.000 Jahren noch so sein, da ist kein Platz“, sagte der Katalane und lachte dabei.
„Wenn sie drei auswechseln, gehen drei außergewöhnliche Spieler vom Feld, und es kommen drei rein, die noch besser sind“, lobte Simeone ähnlich freundlich die Qualität des Gegners. Es sei ein gutes Match gewesen, „je nach der Spielidee beider Gegner und dem zur Verfügung stehenden Material“.
Auch die Fans sehen in der knappen 0:1-Niederlage eher einen Erfolg. Denn Atlético verteidigt in dieser Saison schlechter als sein Ruf. 38 Gegentore hat das Team in dieser Saison in der Liga kassiert, das ist Mittelmaß. Zehn Mannschaften haben in Spanien weniger Treffer bekommen. Das Ergebnis ist Platz vier in der Tabelle, der noch zur Teilnahme an der Champions League berechtigt. Aber der Vorsprung auf Rang fünf beträgt nur einen Zähler.
Trotzdem halten die Fans zu „El Cholo“. Seit er das Team 2011 übernommen habe, habe sich Atlético immer für die Champions League qualifiziert, sei zweimal Meister geworden und sei auch zweimal erst im Finale der Champions League gescheitert, sagt Emilio Abejón vom Fanclub Atlético Club de Socios. Vor der Zeit Simeones sei man schon froh gewesen, wenn man die UEFA-Pokal-Plätze erreicht habe.
Immer noch ein Bein dazwischen: Atéticos Koke (links) gegen Manchesters John Stones
:
Bild: Witters
So gehen die Fans auch verständnisvoll damit um, wenn ihr Klub auch im eigenen Stadion eher auf Konter spielt. City erwarte in Madrid auf jeden Fall ein heißer Tanz, sagt Abejón. Aber: „Wir werden keine Verrücktheiten auf dem Feld machen. Wir geben City den Ball und warten in Ruhe auf unsere Chance.“
Und Simeone wird wohl auch diesmal wieder viel Zeit mit dem Rücken zum Rasen verbringen, dabei auf die Tribünen blicken und mit den Armen rudern.