Die Unruhe bei Borussia Mönchengladbach wirkt schon seit Wochen störend auf den Bundesligaalltag. Der schwachen Hinrunde folgten der Rücktritt von Sportdirektor Max Eberl und viel zu viele Niederlagen. Nun hat die Krise passend zum Duell an diesem Samstag (18.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Bundesliga und bei Sky) gegen Hertha BSC, dem einzigen Klub, bei dem das allgemeine Befinden noch deutlich trüber ist, eine neue Eskalationsstufe erreicht.
Dass der auf der großen Bundesligabühne eher ungeübte Eberl-Nachfolger Roland Virkus die düstere Stimmung auf der Pressekonferenz vor diesem wegweisenden Duell mit den Berlinern irgendwie aufhellen wollte, lässt sich gut nachvollziehen. Doch sein Auftritt wirkte auf manche Beobachter und Fans nicht besonders überzeugend.
Als Hauptursache für die massiven sportlichen Probleme nannte er die vielen Verletzungen, die es zweifellos gab und auch noch immer gibt. Diese Woche zog sich zu allem Überfluss ausgerechnet Jonas Hofmann, der über die ganze Saison hinweg beste Feldspieler, einen Muskelfaserriss zu und fällt mehrere Wochen aus. Den Zustand der Mannschaft oder die Arbeit der Trainer und der Spieler mochte Virkus jedoch nicht kritisch betrachten – jedenfalls nicht öffentlich.
Mittelfeldspieler Christoph Kramer erhielt sogar einen Rüffel, weil er nach der ernüchternden 2:3-Niederlage in Stuttgart genau das gemacht hatte. Er wolle schon gerne „Jungs, die mündig sind“, sagte Virkus und „habe zu akzeptieren, wenn auch der Chris seine Meinung sagt.“ Gleichwohl habe er Kramer klar gemacht, „dass es besser ist, das in den eigenen vier Wänden zu machen.“
„Gibt gerade tausend Baustellen“
Kramer hatte nach der Niederlage in Stuttgart am vergangenen Wochenende offen darüber gesprochen, wie zerrüttet die Mannschaft ist. „Der, der jetzt sagt: Die Leidenschaft fehlt, da ist Grüppchenbildung, haste nicht gesehen. Jeder hat recht, weil es gerade wirklich tausend Baustellen gibt“, räumte Kramer ein. Ähnlich klang Torwart Yann Sommer, als er sagte: „Wir haben viele Spiele erlebt, wo wir ein bisschen auseinandergefallen sind“.
Damit folgten die beiden Führungsspieler der offenen Kommunikationskultur, die seit Jahren in Mönchengladbach gepflegt wird. Virkus hingegen wollte den Eindruck erwecken, als sei – abgesehen von Verletzungspech und Tabellensituation – eigentlich alles in bester Ordnung: „Natürlich gibt es Gruppen, aber keine Gruppen, die gegeneinander arbeiten“, sagte er. In jeder Mannschaft gebe es Fraktionen, oftmals kulturell oder sprachlich bedingt, ein Problem sei das noch lange nicht.
Das mag stimmen, aber der Widerspruch zu Kramer, der nicht erst seit seinen TV-Analysen während der EM eine enorme Glaubwürdigkeit besitzt, war kaum zu überhören. Und die Eindrücke vom Platz stützen eher Kramers Erzählung, denn als homogene Mannschaft, in der sich jeder für den anderen einsetzt, treten die Gladbacher allenfalls in Phasen auf.
Längst ist auch Trainer Hütter angeschlagen, weil er keinem Erfolg hat und in eine Situation hineingeraten ist, die er sich vor seinem Wechsel von Frankfurt an den Niederrhein völlig anders vorgestellt hat. Statt bei einem leuchtenden Champions-League-Anwärter, der regelmäßig sehr gute Spieler kauft, ist er bei einem Klub gelandet, der in rasendem Tempo auseinandergefallen ist und dessen Kader dringend einen grundlegenden Umbruch benötigt. Manche Beobachter spekulieren längst über eine möglicherweise bevorstehende Entlassung Hütters, wobei Virkus auf die Frage nach derartigen Konsequenzen erwiderte: „Es gibt den Plan A, und den verfolge ich.“ Dieser Plan sieht vor, mit Hütter den Klassenverbleib zu schaffen und anschließend eine neue Erfolgsphase zu beginnen.

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Beim Spiel gegen Hertha BSC wird das Team aber vom Assistenztrainer Christian Peintinger gecoacht, weil Hütter sich wegen einer Corona-Infektion in Isolation befindet. „Wir sind uns der Lage bewusst“, sagte Peintinger am Donnerstag, dennoch gelte es, all die Nebengeräusche auszublenden, „es geht alleine darum, was wir sportlich abliefern“. Die Furcht wird aber mitspielen, denn eine Heimniederlage gegen die Berliner würde die Frage aufwerfen, gegen wen Mönchengladbach überhaupt noch gewinnen will. Da kann es sogar ein Nachteil sein, dass endlich wieder einmal mehr als 30.000 Zuschauer in den Borussia-Park kommen dürfen, denn das Wohlwollen der Fans ist in den vergangenen Wochen reichlich strapaziert worden.