Ob es jetzt wirklich Gesprächsstoff in der Kabine war und der Mannschaft wertvolle Energie im Aufstiegskampf geraubt hat, wird man vermutlich erst irgendwann nach Saisonende erfahren. Aktuell sind die Verantwortlichen beim FC St. Pauli bemüht, den Eindruck zu entkräften, dass späte Vertragsgespräche mit den Trainern und Spielern für Verunsicherung gesorgt und den Fall von der Tabellenspitze auf Rang fünf eingeleitet haben. In der Kritik steht der Geschäftsleiter Sport, Andreas Bornemann.
Neun Profiverträge laufen Ende Juni aus. Drei Assistenztrainer haben Wochen auf klare Ansagen gewartet. Für Futter sorgte ausgerechnet Trainer Timo Schultz, als er nach dem 1:1 in Sandhausen vor zwei Wochen sagte: „Es ist schon schade, dass wir da jetzt überhaupt keinen neuen Stand haben seit Dezember. Da hat sich in den letzten drei, vier Monaten eigentlich wenig getan. Ich bin mit den Spielern und Ko-Trainern permanent im Austausch, warten wir mal ab.“
Für die geläufige Profifußball-Diplomatie waren das offene Worte – nicht nur im Frust nach einem späten Gegentreffer gewählt. Sondern bewusst. Auch Streit um Pokal- und Aufstiegsprämien soll es gegeben haben. Inzwischen hat sich Bornemann gewehrt, auf die unsichere Lage des FC zwischen den Ligen hingewiesen, auch darauf, dass verdiente Führungsspieler (Ziereis, Buchtmann, Benatelli) mit Verträgen aus den Zeiten seines Vorgängers womöglich keine Zukunft beim Kiez-Klub hätten. Signale an die betreffenden Spieler soll es demnach sehr wohl gegeben haben. Dass das in der Kabine Thema war, dürfte indes sonnenklar sein.
Selbst wenn Bornemann gute Argumente für sein Handeln hat, wird dieses Zögern mit den ernüchternden Resultaten in Verbindung gebracht: aus den vergangenen fünf Partien holte St. Pauli drei Punkte. Der späte Nürnberger Ausgleich am Freitag kam dem Ende der Aufstiegsträume gleich – und das nach einer Hinrunde mit 36 Punkten. Verhinderten interne Querelen den Aufstieg? Statt der Meisterschaft entgegenzustreben, sucht man beim FC jetzt denjenigen, der das Vertragsthema in die Öffentlichkeit gebracht hat.
Präsident Oke Göttlich wandte sich gegen jene, die „interne Gespräche“ weitergeben würden: „Für diesen Einzelnen ist die Entwicklung des Vereins nicht relevant.“ Geschichten, wie man sie vom HSV kennt, dort aber seit Längerem selten geliefert bekommt.
Ein Zerwürfnis zwischen Schultz und Bornemann soll es nicht geben. Und eine offene Vertragslage muss Profis nicht zwangsläufig lähmen – zumal es normal ist, dass Klubs solche Fragen häufig spät beantworten. Zumal in der Pandemie. Aber irgendwie irgendwo irgendwann haben Anführer wie Guido Burgstaller in dieser Gemengelage den Fokus auf das große Ziel verloren – und ganz nebenbei hat die Mannschaft gemerkt, dass es sehr viel zu verlieren gab, als St. Pauli nach dem 1:0 gegen den 1. FC Heidenheim am 18. März wieder Tabellenführer gewesen war.
Mit Göttlichs Begriff „Entwicklung“ können die frustrierten Fans wenig anfangen. Sie werden das Gefühl nicht los, dass der FC aus der bekannten Sparsamkeit heraus eine Riesenchance vergibt, wie sie nur alle paar Jahre entsteht: mit einem passenden Trainer und einer harmonierenden Mannschaft Größeren ein Schnippchen zu schlagen. Das wird nun noch schwerer: Bei neun Spielern sowie einem Mitglied aus dem Mannschaftsumfeld wurde am Sonntag eine Corona-Infektion nachgewiesen. Das sei das Ergebnis von PCR-Tests, wie der Klub mitteilte. Am Samstag war sicherheitshalber das Training abgesagt worden.
„Natürlich kommt dieser Ausbruch so kurz vor dem Saisonfinale zur absoluten Unzeit. Es zeigt einmal mehr, dass das Virus trotz aller Vorsichtsmaßnahmen weiterhin ein großes Risiko darstellt. Wir befinden uns in dieser Angelegenheit in enger Abstimmung mit den zuständigen Behörden“, sagte Bornemann dazu. Der Verein wolle alles unternehmen, damit das Spiel am nächsten Samstag bei Spitzenreiter Schalke 04 stattfinden kann „und wir eine konkurrenzfähige Mannschaft stellen“, wie Bornemann betonte.