Egidius Braun konnte hinreißend sein. Etwa, wenn er, damals noch Schatzmeister des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), nach deutschen Siegen bei der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko die Klaviatur seines Repertoires erweiterte und als Pianist mit Gassenhauern zum Mitsingen gute Laune verbreitete. Egidius Braun konnte aber auch unnachgiebig und streng sein, etwa wenn er harte Entscheidungen zum Wohle der Nationalmannschaft traf.
Zum Beispiel, als er den Ersatztorwart Uli Stein während der WM vor 36 Jahren nach Hause schickte, weil er den damaligen Teamchef, „Kaiser“ Franz Beckenbauer, als „Suppenkasper“ tituliert hatte. So erging es auch Stefan Effenberg während der WM 1994, nachdem er beim mühseligen 3:2-Sieg über Südkorea in der Gluthitze von Dallas deutschen Fans den „Stinkefinger“ gezeigt hatte. In solchen Momenten ließ der bei Gelegenheit auch autoritär anmutende Braun nicht mit sich spaßen. Eine Rolle, die ihm nicht so gut stand wie die der rheinischen Frohnatur, die der Aachener Kartoffelgroßhändler viel lieber und glaubwürdiger verkörperte.
Der 1925 im Rheinland geborene Braun begann seine Funktionärskarriere im Alter von 48 Jahren als Präsident des Landesverbandes Mittelrhein. Von 1977 an machte er sich auch als Hüter des Geldes im DFB verdient, ehe er am 24. Oktober 1992 als Nachfolger des verstorbenen Saarländers Hermann Neuberger an die Spitze des weltgrößten Fußballverbandes gewählt wurde. Es waren die Zeiten, in denen DFB-Präsidenten Jahrzehnte prägen konnten mit ihrem Auftreten und ihrer gesellschaftlichen Haltung.
Braun wurde ob seiner karitativen Verdienste und steten Hilfsbereitschaft für die Zukurzgekommenen gerne auch „Pater Braun“ genannt. Wolfgang Niersbach, einer seiner Nachfolger, nannte Braun während der Feier zu seinem neunzigsten Geburtstag 2015 „das soziale Gewissen des deutschen Fußballs“.
Der als Sportsmann in seinem Heimatverein SV Breinig sozialisierte Fan von Alemannia Aachen hob nach der WM 1986 die Mexiko-Hilfe aus der Taufe, über die der DFB ein Waisenhaus in Ouerétaro, wo das deutsche Team seinerzeit residierte, und andere karitative Einrichtungen unterstützte. 2001 trat Braun nach einem ersten Schlaganfall als DFB-Präsident zurück. Im selben Jahr entstand unter dem Dach des Verbands die Egidius-Braun-Stiftung, die das soziale Engagement im Namen des damaligen Präsidenten und ersten Helfers vieler Bedürftiger noch ausweitete.
Bernd Neuendorf, seit vergangenem Freitag Präsident des DFB und davor wie einst Braun Vormann des Mittelrhein-Verbandes, sagt über seinen großen Vorgänger: „Egidius Braun hat das soziale Engagement fest in der DNA und der Satzung unseres Verbandes verankert. Es ist und bleibt sein Verdienst, dass der DFB sich seit Jahrzehnten auf vielfältige Weise mit gesellschaftlichen Programmen engagiert, insbesondere auch mit der Egidius Braun gewidmeten DFB-Stiftung, die unter anderem schon seit 2001 Hilfsprojekte in der Ukraine fördert.“
Zum Tod von Egidius Braun
:
Mit Herz und Haltung
Ein Jammer, dass sich der zu seinen besten Zeiten rhetorisch glänzende Braun seit Jahren nicht mehr vernehmlich zu seinem Lebenswerk im DFB äußern konnte, zumal er 2006 einen zweiten Schlaganfall erlitt. Braun hatte, solange es seine Kraft erlaubte, stets für die Einheit im deutschen Fußball zwischen Amateuren, also der Basis, und Profis, also der Leistungsspitze, gestanden. Sein Motto lautete: „Fußball ist mehr als ein 1:0“.
Umso schmerzlicher trafen ihn die abscheulichen Taten deutscher Fußball-Hooligans bei der WM 1998 in Frankreich, die nach dem deutschen 2:2 im Vorrundenspiel gegen Jugoslawien in Lens den französischen Polizisten Daniel Nivel ins Koma geprügelt hatten. Danach wollte Braun, aufgewühlt angesichts dieses schändlichen Verstoßes gegen den zivilen Anstand, die deutsche Mannschaft aus dem Turnier nehmen. Das Team blieb, ehe es im Viertelfinale gegen Kroatien 0:3 verlor.

Werktags um 6.30 Uhr
Es war der Anfang vom Ende des Bundestrainers Berti Vogts, dem Braun jahrelang treu zur Seite stand. Als Vogts im September desselben Jahres zurücktrat, wirkte auch Braun derart angeschlagen, dass er bei seiner Suche nach einem Nachfolger zunächst bei Paul Breitner landete. Dieser galt seinerzeit als einer der größten Kritiker des DFB. Damit begann ein kommunikatives Desaster, das damit endete, dass nicht Breitner, sondern der ebenso unverhofft von Braun ins Spiel gebrachte Erich Ribbeck neuer Teamchef der schwächelnden Nationalmannschaft wurde. Diese schied während der Europameisterschaft 2000 in den Niederlanden und Belgien schon nach den Gruppenspielen aus.
Damals war Egidius Braun auch in der Europäischen Fußball-Union (UEFA) einer der führenden Männer als Vizepräsident und enger Vertrauter des noblen schwedischen Präsidenten Lennart Johansson. Seinen letzten großen Sieg als DFB-Präsident feierte er bei der Vergabe der Weltmeisterschaft 2006 an Deutschland, als alle acht Europäer im Exekutivkomitee des Internationalen Fußball-Verbandes (FIFA) für das Projekt „die Welt zu Gast bei Freunden“ stimmten und damit die Basis für die Stimmenmehrheit beim finalen Votum in Zürich am 6. Juli 2000 schufen.
In der Nacht zum Mittwoch ist der 97 Jahre alte Braun in seiner Heimatstadt Aachen gestorben. Über sich und sein richtungweisendes Wirken hat der große Kommunikator einmal gesagt: „Als Kind wollte ich immer Lokomotivführer werden, jetzt bin ich Weichensteller geworden.“