In den vergangenen Tagen wurde in Frankfurt wieder erinnert. An die magischen Nächte der großen Europapokal-Kampagne der Saison 2018/2019. Sportlich lief es wunderbar, erst im Halbfinale gegen den FC Chelsea kam das unglückliche Aus im Elfmeterschießen. Und die riesigen Choreografien zum Beginn der Heimspiele sorgten für unvergessene Bilder. Die Pandemie sorgte dafür, dass es nicht ewig so weiterging. Vor zwei Jahren wurde das Achtelfinale gegen Basel zum tristen Geisterspiel. Ohne Zuschauer ging die Eintracht 0:3 unter und schied im Rückspiel fünf Monate später still aus.
Corona ist nicht vorbei, noch immer dürfen nicht annähernd 50.000 Fans zu den Heimspielen in die Arena in den Stadtwald kommen. Am Donnerstagabend durften im Achtelfinal-Rückspiel gegen Real Betis aus Sevilla nur die Hälfte der Plätze besetzt werden. Und auch ohne ein imposantes Intro der Ultras ist die Europapokal-Geschichte der Eintracht nun um ein weiteres Kapitel reicher, an das sich viele noch lange erinnern werden. Das lag dieses Mal insbesondere am sportlichen Drama auf dem Rasen. Ein Treffer in der Nachspielzeit der Verlängerung sorgte fürs Weiterkommen der Frankfurter.
Dass es überhaupt so weit kam, hatte zwei Gründe, einen allgemeinen und einen speziellen. Mit dem Beginn dieser Europapokal-Saison wurde eine alte Regel abgeschafft. Tore in Auswärtsspielen haben nun keinen besonderen Wert mehr. Wenn Hin- und Rückspiel vorbei sind, wird einfach nur addiert. Der 2:1-Sieg in Spanien und das 0:1 im eigenen Stadion nach 90 Minuten hätten bis vor kurzem also dafür gesorgt, dass die Eintracht ohne Verlängerung ins Viertelfinale eingezogen wäre. Nun aber war alles anders – und das nervenaufreibende Spektakel mit großen Gefühlen nahm seinen Lauf.
Verlängerung in Frankfurt
Im Hinspiel hatte es die Eintracht versäumt aus der guten Basis eine sehr gute zu machen. Zahlreiche hervorragende Torchancen nutzte der Bundesligaklub in Andalusien nicht, Rafael Borré vergab sogar einen Elfmeter. Im zweiten Duell merkte man der Eintracht an, dass sie etwas zu verlieren hat. Es war kein Sturmlauf, sondern ein kontrollierter Vortrag gegen traditionell ballsichere und technisch feine Spanier. Die beste Chance der ersten Hälfte vergab Ansgar Knauff, dessen Ball an die Latte klatschte (14. Minute). Eine Freistoßflanke von Filip Kostic traf in Halbzeit zwei das Kreuzeck des Tores (63.).
Aber auch Betis wurde mit drängender Zeit nicht ungefährlicher. Juanmis Kopfball entschärfte Kevin Trapp im Flug (65.). Und während Borja Iglesias zunächst in Rücklage noch über das Tor zielte (87.), war er in der letzten Minute der regulären Spielzeit nach scharfer Hereingabe von Nabil Fekir mit seiner Fußspitze eher am Ball als Evan Ndicka und spitzelte den Ball zum 0:1 ins Frankfurter Tor. Alles wieder ausgeglichen im Duell des Neunten der Bundesliga-Tabelle mit dem Fünften von La Liga. Es ging also in die Verlängerung. Und in der sollte das Drama auf die Spitze getrieben werden.
In der zweiten Halbzeit der Extrazeit landete ein abgefälschter Schuss von Diego Lainez auf dem Kopf von Iglesias, der freistand, aus wenigen Metern aber nur die Latte des Eintracht-Tores traf. Und dann kam die 121. Minute. Eine Freistoßflanke von Kostic landete in einem Knäuel aus Martin Hinteregger, Sevillas Torwart Rui Silva und Guido Rodriguez. Und von dort prallte der Ball am vorbeifaustenden Schlussmann vorbei ins Tor – 1:1 und das Weiterkommen für Frankfurt. Die Ekstase kannte keine Grenzen mehr, Trainer Oliver Glasner und die Auswechselspieler standen plötzlich auf dem Rasen.

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Es wird brauchen, bis die Frankfurter den emotionalen Ausnahmezustand verarbeitet haben. „Ich bin noch total geflasht von den Emotionen. Das Spiel hat alles geboten, für was die Euro-Eintracht steht“, sagte der sichtlich glückliche Glasner in der Pressekonferenz um Mitternacht. „Sowas erlebst du nur im Fußball“, sagte der Trainer, der vor der Saison kam und die legendären Europapokal-Abende der Eintracht bisher nur aus dem Fernsehen und den Erzählungen der Frankfurter kannte: „In der 90. Minute bricht kurz die Fußballwelt zusammen. Und in der 120. Minute steht sie wieder rosarot.“
Das lag vor allem am Einsatz von Hinteregger, der sich ohne Rücksicht in den Flankenball von Kostic warf und Glück hatte, dass ihm gesundheitlich nichts passierte und das Spielgerät irgendwie Richtung Tor prallte. Die Europäische Fußball-Union wertete das 1:1 später als Eigentor von Rodriguez, aber das war an diesem Abend der großen Emotionen ziemlich egal. „Martin hat es erzwungen mit allem, was er hatte. Er hat sogar eine Verletzung riskiert. Es freut mich für ihn, da er ein paar schwierigere Monate hatte“, sagte Glasner über seinen österreichischen Landsmann, der wieder in Form kommt.
Torwart Trapp ist schon länger in Frankfurt und hat die Traumreisen durch Europa mitgemacht. Solch ein sportliches Drama mit Aufs und Abs in den letzten Minuten wie am Donnerstag aber ist auch ihm neu. „Das kannst du an Emotionen und alles, was da hinzukommt, nicht übertreffen“, sagte Trapp. Ähnlich erging es Neuzugang Ansgar Knauff: „Es ist einfach nur ein geiles Gefühl, das sind die Tage, die Spiele, die Nächte, für die man Fußball spielt.“ Und Djibril Sow sagte bei RTL: „Wir haben wirklich diesen Spirit in Europa und ich glaube, mit dem können wir auch weit kommen.“
Die entscheidende Szene: Martin Hinteregger wirft sich in die Flanke, der Ball fliegt ins Tor.
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Bild: dpa
Nach einer kurzen Nacht wartet auf die Eintracht am Freitag (13.30 Uhr) eine weitere Verlängerung, bevor der Bundesliga-Alltag mit dem Spiel in Leipzig am Sonntag (15.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Bundesliga und bei DAZN) weitergeht. In Nyon werden Viertel- und Halbfinale der Europa League ausgelost. Dabei sind neben Frankfurt und Leipzig Atalanta Bergamo, das Leverkusen ausschaltete, der FC Barcelona, West Ham United, Olympique Lyon, Sporting Braga und die Glasgow Rangers. Wer wird es? Glasner hat nur einen Wunsch: „Ich würde es vorziehen, nicht Leipzig zu bekommen.“