Wie sehr Fußball-Trainer mitunter in ihrer eigenen Welt leben, zeigte eine Szene nach dem Spiel zwischen Union Berlin und Eintracht Frankfurt. Das Berufliche war erledigt und alle Fragen der Reporter beantwortet, da ging Urs Fischer auf Oliver Glasner zu und nahm seinen Kollegen in den Arm. „Ich freue mich wirklich schon auf eure Auslosung“, sagte Fischer in der Tonlage eines Freundes, erntete aber nur einen verdutzten Blick seines Gegenübers. „Eure Auslosung“, wiederholte Fischer, und nun schien Glasner endlich zu verstehen. „Die war schon. Wir spielen gegen West Ham“, antwortete er und nun war Fischer einigermaßen verwundert. „Ist das also wie in der Champions League, dass die Paarungen vorher feststehen?“ fragte er und Glasner nickte.
Mit den Modalitäten der Europa League kann sich Urs Fischer besten Gewissens schon mal beschäftigen. Sein 1. FC Union schickt sich nach dem 2:0 gegen Frankfurt an, in der kommenden Saison in diesem Wettbewerb zu starten. Die Eintracht hat bei vier ausstehenden Spielen in der Bundesliga dagegen kaum noch Chancen, sich dafür zu qualifizieren. Der Rückstand auf die Berliner beträgt acht Punkte. „Das ist schon ein relativ deutlicher Rückstand. Am Ende des Jahres werden wir dort stehen, wo wir es verdient haben“, sagte Glasner.
Das Spiel in Berlin war ein Spiegelbild der vergangenen Wochen und führte zu der Erkenntnis, dass es für die Eintracht national kaum mehr als ein einstelliger Tabellenplatz werden dürfte. Gegen ausgeruhte und hoch motivierte Berliner hatte die Eintracht so gut wie nichts entgegenzusetzen. Reisestrapazen und körperliche Müdigkeit forderten nach dem emotionalen Höhepunkt in Barcelona ihren Tribut. „Man hat gesehen, dass wir physisch und mental nicht in der Lage waren, unsere beste Leistung zu bringen“, sagte Glasner.
Glasner: „Schenken kein Spiel ab“
Das verwunderte zuerst und dann doch wieder nicht, weil der Trainer seine Mannschaft auf sechs verschiedenen Positionen veränderte. Aber auch diese Spieler waren Teil jener Mannschaft, die sich mit dem Weiterkommen beim FC Barcelona selbst in der Klubhistorie verewigte. „Dann drei Tage später wieder bereit zu sein ist unheimlich schwierig“, sagte Fischer in Richtung seines Kollegen.
Für Glasner und seine Mannschaft wird es in den kommenden Wochen vor allem darum gehen, eine Einstellung zu den letzten Ligaspielen gegen Hoffenheim, Leverkusen, Gladbach und Mainz zu finden angesichts der sportlichen Perspektivlosigkeit. „Das gibt es bei uns nicht, dass wir irgendein Spiel abschenken“, sagt Glasner zwar, aber er weiß auch, dass die Prioritäten jetzt woanders liegen.
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Bild: Imago
In den Halbfinalspielen der Europa League gegen West Ham könnte die Eintracht den ersten internationalen Finaleinzug seit drei Jahrzehnten schaffen. Vor drei Jahren waren die Frankfurter schon mal in der gleichen Position, scheiterten in einem dramatischen Halbfinale aber im Elfmeterschießen am späteren Sieger Chelsea. Dieses Mal möchte es die Eintracht besser machen und das Finale erreichen. Ein Sieg in der Europa League wäre nicht nur aus Gründen des Prestiges von enormer Bedeutung. Der Gewinner bekommt automatisch einen Startplatz in der finanziell lukrativen Champions League. Sich über die Bundesliga dafür zu qualifizieren ist für die Eintracht nicht mehr möglich.
Grund für das Verweilen im tabellarischen Niemandsland ist die bescheidene Rückrunde, in der sich Frankfurt nur zwölf Punkte aus dreizehn Spielen sicherte. Dem gegenüber stehen die mitreißenden Auftritte in der Europa League. Dass der Frankfurter Kader nur für das Brillieren in einem Wettbewerb gemacht ist, wurde gegen Union abermals deutlich, auch wenn sich Glasner verbal vor seine Fußballer stellte. „Ich war sehr zufrieden mit den Spielern und ihrem Engagement. Es ist schwierig, wenn die halbe Mannschaft neu ist. Viele haben so noch nicht zusammengespielt und sind nicht im Rhythmus“, sagte er.

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Diejenigen, die vom Trainer eine Möglichkeit bekamen, sich zu zeigen, konnten sie nicht nutzen. Jens Petter Hauge empfahl sich offensiv genauso wenig wie Goncalo Paciencia, im Mittelfeld lief Ajdin Hrustic nur hinterher und Timothy Chandler konnte auf der rechten Seite kaum mal eines der riesigen Löcher stopfen, welche die umtriebigen Berliner rissen. Abstimmungsprobleme waren ein Problem, Erschöpfung ein anderes, aber zu allem Übel machten sich die Frankfurter des Leben auch noch selbst schwer.
Vor dem 0:1 ließ sich Abwehrchef Martin Hinteregger zu leicht von Taiwo Awoniyi abschütteln. Hintereggers wütender Verweis auf ein Foulspiel blieb vom Schiedsrichter und vom Videoassistenten ungehört, auch wenn Glasner betonte, für ihn sei es ein Foul gewesen. Eine noch unglücklichere Figur machte Kristijan Jakic, als er den Ball im eigenen Strafraum verlor und dadurch das 0:2 einleitete.
Die Mischung aus Reservisten und müden Europapokal-Helden erwies sich als fatal. Egal was Glasner auch versuchte, nichts funktionierte. In der zweiten Halbzeit gelang der Eintracht kein nennenswerter Torschuss mehr. „Die Spieler haben alles versucht, alles rausgepresst, aber die Zitrone war heute leer“, meinte Glasner, der seiner Mannschaft zwei freie Tage einräumte. „Das haben wir uns verdient“, sagte er. Wohl wissend, dass er dafür keinen Widerspruch ernten wird.