Als Siegtorschütze durfte Ermedin Demirovic sich dann doch nicht feiern lassen am Ende einer wunderbaren Woche für den SC Freiburg, aber der Überschwang war nicht zu überhören in den Worten des Angreifers. Sieben Tage zuvor hatten die Freiburger in einem Heimspiel gegen Hertha BSC die 40-Punkte-Marke und damit das offizielle Saisonziel erreicht, am vergangenen Mittwoch zogen sie zum zweiten Mal in ihrer Klubgeschichte ins Halbfinale des DFB-Pokals ein – und nun hätten sie beinahe auch noch erstmals in Leipzig gewonnen.
Bis zur 90. Minute war Demirovics Treffer zum 1:0 das einzige Tor der Partie gewesen, ehe Angelino eine der ganz wenigen Unaufmerksamkeiten in der Defensive des Sportclub doch noch zum Ausgleich nutzte. Demirovic sah sich trotz dieses ärgerlichen Schlusspunktes veranlasst, die Gelegenheit zu nutzen, um dem Bundesligapublikum seine von tiefer Zuversicht geprägte Sicht auf die Situation seines Klubs vorzutragen.
Entgegen der beim SC Freiburg über Jahre kultivierten Zurückhaltung in allen Diskussionen über Saisonziele könne man nun „auch mal etwas größer denken“, sagte der in Hamburg geborene Angreifer, der für die Nationalmannschaft von Bosnien-Herzegowina spielt. „Wir sehen uns als Top-Mannschaft“, erklärte Demirovic, „wir können selbstbewusst an die Sache rangehen.“ Was der 23 Jahre alte Profi meinte, war klar: Die Freiburger wollen in den Europapokal und könnten bei einem günstigem Saisonverlauf sogar erstmals die Champions League erreichen. So langsam lässt sich dieser eigentlich völlig utopische Gedanke nicht mehr verdrängen.
Auch der Leipziger Angelino empfindet das Ensemble von Trainer Christian Streich mittlerweile als Konkurrenten auf Augenhöhe. „Wir kämpfen mit Freiburg um den vierten Platz“, sagte der Spanier nach der Partie. RB hatte kaum Lücken gefunden in der besten Defensive der Liga und brauchte eine Menge Glück, um an diesem Tag nicht an Boden gegenüber den starken Freiburgern zu verlieren.
„Die „Mannschaft hat von der Energie, von der Haltung und der Schläue gegen den Ball ein außergewöhnliches Spiel gemacht“, lobte Christian Streich sein Team, und Demirovic, der in der laufenden Saison erst zum fünften Mal der Startelf angehörte, hatte seinen Anteil an dieser homogenen Gesamtleistung. Als der Freiburger Trainer nach der Partie auf seinen Stürmer angesprochen wurde, ging es jedoch weniger um das Tor und die Performance des Bosniers als um sein Verhalten jenseits des Spielgeschehens.
Seiner Forderung, der SC möge sich doch bitte von nun an als „Top-Mannschaft“ begreifen, hatte er umgehend angefügt, dass Streich nach so einer Aussage „womöglich etwas sauer“ werden könne, doch der Trainer reagierte gelassen: „Ich bin selten sauer auf Spieler, wenn sie etwas sagen, schon gar nicht, wenn sie so jung sind.“ Demirovic könne „doch sagen, was er will“. Womöglich hat er ohnehin nur etwas ausgesprochen, was Streich und andere beim SC heimlich schon länger denken.
Umstrittene Jubelgeste
Nie war die Teilnahme an der Königsklasse realistischer für diesen kleinen Klub, und im DFB-Pokal ist sogar der erste große Titel der Vereinsgeschichte möglich. Vielleicht ist deshalb nun der Zeitpunkt gekommen, auch rhetorisch etwas forscher zu werden. Zu einem anderen Thema dieses Tages wird Streich sich aber wohl noch mit Demirovic austauschen.
Der hatte seinen Treffer gemeinsam mit Lucas Höler gefeiert, indem beide ihre rechte Hand zum Militärgruß an die Stirn hielten. Offensichtlich handelte es sich um ein Ritual, das schon vor dem Beginn des Krieges in der Ukraine abgesprochen war, an diesem Spieltag, der geprägt war von zahlreichen Friedensbotschaften, wirkte diese Geste jedoch reichlich unpassend. „Natürlich denken die, wenn sie sowas machen, nicht ans Militär“, sagte Streich, der in den Tagen zuvor in verschiedenen Interviews erzählt hatte, wie nah ihm der Krieg in Europa geht.
„Wenn solche Sachen sind, sprechen wir natürlich darüber“, erklärte der Trainer, der seine Spieler immer wieder für Themen sensibilisiert, die außerhalb des Fußballs liegen. Wirklich kritisch mochte er am Ende dieser Woche aber mit niemandem sein, zumal Demirovics Selbstvertrauen noch wichtig werden könnte. Denn andere Offensivleute wie Höler oder Woo-Yeong Jeong erzeugen derzeit eigentlich nicht genug Torgefahr für wichtige Offensivspieler eines ambitionierten Europapokalanwärters.