Nach einer solchen Fußball-Show wollte niemand der Beteiligten als kleinlicher Miesepeter dastehen. Und doch suchten die beiden Trainer Sebastian Hoeneß und Julian Nagelsmann nach den Haaren in der Suppe, die sie an diesem sonnigen Nachmittag in der Sinsheimer Arena geärgert hatten. Hoeneß, wesentlich zufriedener mit dem Ertrag seiner Mannschaft, bekrittelte die von einer angezeigten Minute auf zwei Minuten und 13 Sekunden verlängerte Nachspielzeit in der ersten Hälfte, in der Robert Lewandowski, dem Stürmerstar des FC Bayern München, nach Kimmichs Eckball per Kopf der Ausgleich zum 1:1 bei der TSG 1899 Hoffenheim geglückt war.
„Ich weiß, es ist unpopulär, den Eckball nicht mehr zu geben“, sagte der Sohn des früheren Bayern-Mittelstürmers Dieter Hoeneß, „aber er war einfach nicht mehr in der Zeit. Das ist bitter.“ Auf der anderen Seite beklagte sein in Hoffenheim sozialisierter und zum Trainerjungstar aufgestiegener Kollege Julian Nagelsmann den seiner Ansicht nach staubtrockenen Rasen des Stadions. „Man hat es bei Gnabry und Coman gesehen, dass der Ball so komisch wegspringt. Das soll jetzt keine Kritik am Hoffenheimer Greenkeeper sein, aber mit nasserem Rasen kommen die Bälle auf jeden Fall gefährlicher.“
Da konnte Christoph Baumgartner, der Hoffenheimer Torschütze, ja froh sein, dass er den Ball volley zum 1:0 getroffen hatte (32.) und nicht vom Rasen düpiert worden war. Die zumindest mal aufflackernde Kleinklein-Argumentation beider Trainer wirkte angesichts des großen Spektakels, das den Tabellenfünften und Tabellenersten der Fußball-Bundesliga am Samstag auf qualitativ höchster Ebene miteinander verband, etwas aus dem Kontext gefallen an einem Nachmittag der allerbesten Fußball-Unterhaltung.
Was die Bayern wirklich verdrießen musste, war der Chancenwucher, gepaart mit einem Schuss Unaufmerksamkeit, der sie daran hinderte, das Duell mit den um einen Champions-League-Platz kämpfenden Kraichgauern am Ende doch zu gewinnen. Drei Abseitstore in einem Spiel, in diesem Fall durch Müller (27./42.) und Lewandowski (46.): Das schafft auch nicht jeder. Dazu kamen noch Gnabrys Pfostentreffer aus freier Schussbahn (68.), Poschs Rettungstat auf der Torlinie nach Müllers Schuss (72.) und eine Reihe von fabelhaften Paraden des Hoffenheimer Torhüters Oliver Baumann.

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Es war also richtig was los in der nach den Corona-Bestimmungen erstmals seit langem mit 25.600 Zuschauern fast vollen Arena. Und daran wirkten auch die Nordbadener nach Kräften mit, die sich vom bayerischen Herrschaftsanspruch nie erdrücken ließen und immer wieder zu besten Gelegenheiten kamen. Vor allem Andrej Kramaric, der 30 Jahre alte Kroate und mit 101 Treffern in 210 Pflichtspielen Rekordtorschütze des Vereins, wirkte an dem Tag, an dem die Verlängerung seines auslaufenden Vertrages um weitere drei Jahre bekanntgegeben wurde, eher gehemmt als befreit, wenn er allein vor Torhüter Manuel Neuer auftauchte. Der musste sich nicht einmal sonderlich strecken, um die unpräzisen und unscharfen Torschussversuche seines Gegenübers zu blocken.
Kramaric, der der TSG 2025 neun Jahre treu zu Diensten gewesen sein wird, bekannte sich von Herzen zu seinem deutschen Heimatklub: „Ich liebe diesen Verein, Hoffenheim bedeutet alles für mich.“ Beim Blick zurück auf das „sehr intensive“ Spiel und seine eigenen vergebenen Gelegenheiten sagte er: „Es hätte auch 5:5 ausgehen können.“ Auch Nagelsmann, der in seinen neun Hoffenheimer Jahren (2010 bis 2019) den Trainerjob von der Pike auf gelernt und verinnerlicht hat, rechnete angesichts des dünnen Ertrags dieses Spiels die vielen vergebenen Gelegenheiten zugunsten seiner Mannschaft hoch. „Wir konnten noch vier, fünf Tore mehr machen, aber auch drei, vier mehr kriegen.“
Vier Tage nach dem Torfestival beim 7:1-Triumph über RB Salzburg im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League verdross den Trainer, der das Offensivspektakel liebt und deshalb sechs offensiv orientierte Spieler in seine erste Elf integriert hatte, die mangelhafte Tageseffizienz. Mit Lewandowski, Müller, Gnabry, Coman, Sané und Musiala nur auf ein Tor gekommen zu sein, war angesichts der zahlreichen Möglichkeiten viel zu wenig. Auch der Blick auf die Münchner Rückrundenbilanz mit fünf Siegen, zwei Unentschieden und zwei Niederlagen gibt derzeit keinen Beleg für eine neue Bayern-Herrlichkeit her. Unter diesen Umständen darf sogar die auf Rang zwei zwischenzeitlich abgeschlagen anmutende Dortmunder Borussia noch auf ein spannendes Finale um die Meisterschaft hoffen.
Nagelsmann, dessen Bayern sehr viel zum hohen Schauwert dieses Sinsheimer Fußballnachmittags beigetragen hatten, fand sein „Risikomanagement“ mit der Präferenz für offensive Spielernaturen gleichwohl in Ordnung. „Wenn ich es vergleiche mit den Spielen vor zwei, drei Wochen, dann war es ein guter Schritt für uns, auch wenn es skurrilerweise nur ein Punkt ist.“ Das lag nicht nur am Meister, sondern auch an seinem nimmermüden Gegner. Schlusswort Sebastian Hoeneß: „Wir haben heute das Herz in die Hand genommen und den Zuschauern ein Spektakel geboten.“ Die Bayern aber auch.
Und so fasste Nagelsmann das Fußballfest ohne den krönenden Abschluss hüben wie drüben so zusammen: „Ich bin ein Fan davon, attraktive Fußballspiele zu sehen, damit die Leute nicht so über die Bundesliga schimpfen und es auch genießen können. Deshalb glaube ich, dass es für die Fans ein sehr gutes Spiel war.“ Für ihn selbst, Trainerlos, nicht so ganz.