Der Liverpool Football Club spielt in dieser Saison fast pausenlos. Das ist der Preis des Erfolgs. In allen vier Wettbewerben absolviert die Mannschaft von Jürgen Klopp alle möglichen Spiele, weil sie in den Pokalrunden jeweils bis ins Endspiel kam. Den Ligapokal hat sie nach fünf Spielen im Finale gegen den FC Chelsea schon gewonnen. Im FA-Cup, dem englischen DFB-Pokal, steht sie am 14. Mai im Endspiel, wieder gegen Thomas Tuchels Team; es ist die sechste Partie in diesem Wettbewerb. Und auch in der Champions League ist Liverpool so weit gekommen, um nun im finalen Duell im den Titel zu spielen.
Auf dem Weg dorthin waren bisher zwölf Einsätze nötig, das Endspiel am 28. Mai in Paris gegen Real Madrid oder Manchester City wird das 13. Spiel in dieser Kampagne sein. Hinzu kommen 38 Partien in der Premier League, in der es im Kopf-an-Kopf-Rennen gegen Manchester City um die Meisterschaft geht. Das macht in Summe 62 Spiele, für Nationalspieler kommen noch die Einsätze für ihre Länder hinzu. Die Protagonisten haben oft auf den zu dichten Spielplan hingewiesen. Geändert hat sich wenig. Liverpool ist ein Beispiel für die immense Belastung – und wie man damit erfolgreich umgeht.
Am Dienstagabend hätte Klopps Mannschaft in diesen atemlosen abschließenden Saisonwochen fast für eine vorzeitiges Ende der Spielzeit gesorgt. Die Teilnahme am Finale der Königsklasse stand auf der Kippe. Nach dem 2:0-Heimsieg im Hinspiel vor einer Woche lag der Favorit zur Halbzeit mit 0:2 hinten und machte einen hilflosen Eindruck im Wirbel des FC Villarreal, der sein kleines Estadio de la Cerámica zu seiner großen Bühne machte. Und so stellte sich beim FC Liverpool in der Analyse die Frage: Was war vor der Pause los? Und daran gleich anschließend: Was war in der Pause los?
Klopp beantwortete die Fragen am Mikrofon bei Prime Video entspannt, weil am Ende doch alles gut ausgegangen war aus seiner Sicht. „Cool, wir sind echt glücklich“, sagte er. „Die zweite Halbzeit war besser als die erste.“ Das war offensichtlich. Den Villarreal-Treffern von Boulaye Dia (3. Minute) und Francis Coquelin (41.) folgten in der zweiten Halbzeit Liverpool-Tore durch Fabinho (62.), Luis Díaz (67.) und Sadio Mané (74.). Machte summa summarum ein 5:2 für Klopps Auswahl in beiden Duellen. Doch der Weg dahin war mühsamer als nach der einseitigen Sache an der Anfield Road gedacht.
Lange Mängelliste von Klopp
Das lag zum einen am FC Villarreal, der nach der hasenfüßigen Taktik im Hinspiel, mächtig aufdrehte und früh in Führung ging. „Das war jetzt nicht im Plan. Wir sind auch nicht cool geblieben. Die haben Dampf gemacht. Das kleine Stadion war on fire“, sagte Klopp und zählte die Liverpooler Mängel auf: „Wir sind nicht ins Spielen gekommen, waren vorne nicht flexibel, haben uns im Mittelfeld nicht gut genug bewegt, haben defensiv Löcher aufgelassen, verrückt. Wir waren ohne Rhythmus.“ Kurzum: „Wir hatten elf Probleme in der ersten Halbzeit, wenn man so will.“ Das war also vor der Pause los.
Und was war in der Pause los? Das zweite Tor der Spanier kurz vor der Halbzeit erschreckte Liverpool sichtlich, war psychologisch aber womöglich gar nicht so schlecht, wie Klopp fand: „Es ist nicht mein favorisiertes Ergebnis, aber eigentlich ist es auch okay, weil jetzt sind wir wach. So können wir nicht weitermachen. Das 2:0 war keine Katastrophe.“ Und so wurde er zur Pause nicht laut, sondern griff zur Taktiktafel und blieb positiv: „Das Doofe an so einer Halbzeit ist, sie ist schlecht. Das Gute ist, sie ist leicht zu verbessern.“ Daher dachte man: „Das probieren wir jetzt, wo wir schon mal da sind.“
Und wie sie nach Wiederanpfiff da waren. Mancher Zuschauer mag gedacht haben, dass die Teams zur zweiten Halbzeit nicht nur die Seiten auf dem Rasen, sondern auch die Trikots gewechselt haben. Denn plötzlich war Liverpool dominant, selbstsicher und erfolgreich, während Villarreal arg abbaute. „Wir haben auf einmal angefangen zu kicken, haben auf einmal die Räume gefunden. Wir haben Luis Diaz gebracht, dadurch waren wir insgesamt viel flexibler. Wir haben uns viel besser bewegt. Ich bin echt glücklich“, sagte der deutsche Trainer. „So wie wir reagiert haben, das war besonders.“
Die Reaktion lag an der Steigerung von zehn Spielern und der Einwechslung von einem Spieler. Díaz kam für Diogo Jota, Mané rückte von links in die Mitte in der Dreiersturmreihe. Das wirkte, denn der Kolumbianer, der erst im Januar vom FC Porto nach Liverpool gekommen war, half maßgeblich mit bei der Wende. Der 25 Jahre alte Wirbelwind stellte die müder werdende Abwehr vor große Probleme mit seinen Ideen, mit seiner Technik, mit seiner Lust auf Fußball. Ein spektakulärer Seitfallzieher war nicht erfolgreich, später versuchte er es mit Köpfchen und traf zum 2:2.
Weiter geht es im atemlosen Takt. Tottenham, Aston Villa, Chelsea, Southampton, Wolverhampton und Manchester City oder Real Madrid sind die Gegner im Schlussspurt einer Saison, die enden kann wie noch nie für eine englische Mannschaft: mit vier Titeln, dem Quadrupel. Klopp wird seit einiger Zeit mit diesem Begriff und der Frage danach behelligt. Und immer winkt er ab, so auch am Dienstag: „Es ist einfach Quatsch mit diesem Quadruple-Mist. Wir spielen jedes Spiel, das möglich war. Wir spielen alle Finals. Es gibt einen Grund, warum noch niemand das Quadrupel gewonnen hat.“
Für Liverpool bleibt das nach dem Sieg beim Bayern-Besieger aber im Bereich des Möglichen. Für Klopp ist es das vierte Champions-League-Finale, sein drittes mit Liverpool. 2018 verlor er gegen Real Madrid, im Jahr darauf gab es einen Sieg über Tottenham. Die Vorfreude nun ist groß: „Es fühlt sich an, als wäre es das erste Mal“, sagte Klopp. Der Plan dürfte der gleiche sein: „Ich habe den Jungs vor der Partie gesagt, ich will die Schlagzeile lesen: ‚Die Mentalitätsmonster waren in der Stadt‘.“ Sie waren dort. Und so blieb nur ein Fazit: Nach der Pause ging es erst richtig los. Und es ist noch lange nicht vorbei.