Wenn an diesem Mittwoch (21.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Champions League und bei DAZN) das Halbfinal-Hinspiel der Champions League zwischen dem FC Liverpool und dem FC Villarreal beginnt, wird Divock Origi wohl dort sitzen, wo er meistens sitzt, wenn ein Spiel seiner Mannschaft losgeht: auf der Ersatzbank. Das mag erstaunen, wenn man seinem Trainer zuhört. „Divock ist eine Legende, auf dem Platz und außerhalb“, sagt Jürgen Klopp. „Er ist ein Weltklassestürmer, er ist unser bester Vollstrecker, keine Frage. Jeder liebt Div (sein Spitzname/d. Red.). Ich bin sehr glücklich mit ihm.“
Doch warum lässt Klopp ihn dann nicht viel öfter spielen. Die Antwort ist einfach – und schwer für den Spieler: Weil andere noch ein wenig besser sind. Wer einen Mohamed Salah, einen Sadio Mané, einen Diogo Jota, einen Roberto Firmino und einen Luis Díaz im Kader hat, hat wenig Grund, sich über die Qualität in der Offensive zu sorgen. Origi ist da eben nur das fünfte oder sechste Rad am flotten Sportwagen des Liverpool Football Club, der an der Konkurrenz vorbei düst. Doch wenn Origi mal gebraucht wird, ist er zur Stelle: Im lange Zeit zähen Derby gegen Everton traf er am Sonntag spät zum 2:0.
Nun also Villarreal, der Bayern-Besieger. Klopp jedenfalls ist trotz des eng getakteten Spielplans auch auf der Zielgeraden der Saison auf Touren. In Dortmund versprach er einst Vollgasveranstaltungen. In Liverpool soll das nicht anders sein. „Wir müssen kämpfen, als ob wir die letzten zwölf Jahre nicht gewonnen haben. Das ist hier immer die Situation“, sagte der Trainer. „Es ist etwas Besonderes, Teil des Halbfinals zu sein. Es ist verrückt, ein massives Spiel. So viele Trainer und Spieler arbeiten dafür ihr ganzes Leben und haben keine Chance, so nah dran zu sein. Wir müssen das genießen.“
Wie groß der Genuss sein wird, entscheidet sich in Liverpool und eine Woche später in Spanien beim Rückspiel. Die Chance, das Quadrupel zu gewinnen, lebt. Den Ligapokal haben Klopp und Co. schon, sie stehen zudem im FA-Cup-Finale gegen Thomas Tuchel und den FC Chelsea am 14. Mai. Ein Punkt ist es in der englischen Premier League nur zum Spitzenreiter Manchester City. Der könnte auch im Finale der Champions League Gegner sein, wenn sich Liverpool und Pep Guardiolas Mannschaft durchsetzen. Im Hinspiel gegen Real Madrid gab es am Dienstag ein spektakuläres 4:3 für City.
Für Liverpool und Klopp ist das Duell nun im Halbfinale auch ein Wiedersehen mit der Vergangenheit. In der ersten Saison des Trainers in England trafen beide Klubs schon mal in einem Halbfinale aufeinander, in der Europa League. In Spanien siegte Villarreal mit 1:0 und feierte den Sieg wie einen Titelgewinn. Die Motivation bei Klopp und den Seinen war so groß, dass sie das Rückspiel mit 3:0 gewannen. Die Stimmung an der Anfield Road war dabei eine besondere. Das anschließende Endspiel in Basel ging dennoch verloren. Liverpool unterlag dem FC Sevilla mit 1:3. Der siegreiche Trainer: Unai Emery.
Der ist nun bei Villarreal und nötigt Klopp nicht nur wegen dessen Niederlage in der Schweiz vor fast sechs Jahren Respekt ab. Emery ist Mr. Europacup. 84 Prozent der K.o.-Duelle mit seinen Teams in internationalen Wettbewerben gewann er seit 2010. Klopp erinnert sich gut an die Niederlage 2016. „Es war hart, das Spiel zu verlieren“, sagt er nun. Es sei wichtig gewesen, dass sich der Klub schnell erholte. Das tat er. Die Ära Klopp ist sehr erfolgreich. „Man kann es nicht richtig vergleichen, wenn sechs Jahre dazwischenliegen“, sagt er heute. Nun sei die Situation eine andere. Liverpool ist Favorit.
Ob die „Reds“ der Rolle gerecht werden, könnte auch daran liegen, wer die besten Optionen auf der Bank hat, womit Divock Origi wieder ins Spiel kommt. Sein Vertrag läuft im Sommer aus, er wird wohl nicht verlängert. Der AC Mailand gilt als Interessent für den 27 Jahre alten Belgier. Schon vor dieser Saison war Liverpool bereit, ihn abzugeben. Knapp 18 Millionen Euro waren aufgerufen. Es kam nicht ein Angebot, was nicht nur Klopp verwunderte. Denn Origi ist trotz seiner geringen Einsatzzeiten ein hochwertiger wie robuster Stürmer im besten Alter, der seit 2015 in der kniffligen Premier League gelernt hat.
In der Saison 2017/18 spielte er, viele mögen es schon vergessen haben, in der Bundesliga. Für eine Saison lieh der VfL Wolfsburg ihn aus, landete auf Relegationsplatz 16 und verhinderte den Abstieg auch, weil Origi in 31 Spielen sechs Treffer gelangen. Anschließend kam er zurück, einen dauerhaften Platz in der Startelf bekam er aber nicht. Dennoch liebt er Liverpool. Und Liverpool liebt ihn. Schlechte Laune verbreitete er trotz seiner Reservistenrolle nie. Und wenn er spielte, spielte er gut. Andrew Robertson brachte es jedenfalls auf den Punkt: Er freue sich darauf, das Divock-Origi-Denkmal mit seinen Enkelkindern zu besuchen. Keine schlechte Idee für Liverpools besten Joker.