Tobias Stieler ist FIFA-Schiedsrichter. Qua Amt gilt er als einer der besten Unparteiischen in den Reihen des Deutschen Fußball-Bunds. Für den Job als Videoassistent kann das spätestens seit Mittwochabend nicht mehr gelten. Stieler saß im Kölner Keller, als Matthias Jöllenbeck in der zehnten Minute des Spiels zwischen dem FC Augsburg und dem FSV Mainz 05 einen Elfmeter pfiff, der keiner war.
Jöllenbeck hatte ein Foul des Mainzer Torhüters Zentner an Florian Niederlechner wahrgenommen, was aus seiner Sicht und Perspektive in Ordnung sein mochte. Und Stieler machte: nichts. Er hörte sich die Einschätzung seines Kollegen an und beließ es dabei. Geradeso, als wäre gegen 17.40 Uhr an seinem Arbeitsplatz der Strom ausgefallen und habe verhindert, sich die Szene noch einmal anzuschauen. Denn nach einem Blick auf den Fernseher hätte ihm klar sein müssen, was Jöllenbeck in der Halbzeitpause klar wurde, wie er später sagte: Zwischen seiner Wahrnehmung und der Realität lagen „zwei Welten“.
Denn Zentner war nach einem Rückpass ein Stockfehler unterlaufen, und beim Kampf um den zu weit abgeprallten Ball kam er zu spät. Aber: Niederlechner spielte die Kugel mit langem Bein, ohne dass es einen Kontakt mit dem Keeper gegeben hätte. Erst nachdem er vor Zentners Füße fiel, berührte er ihn. Ein Foul? Nachgerade lächerlich. Den Strafstoß ausführen zu lassen, Jöllenbeck nicht mal einen Blick auf den Monitor anzuraten, war nahe am Skandal. Der Unparteiische hielt sich nach dem Schlusspfiff mit Kritik an Stieler zurück, nahm den Fehler „letztlich auf meine Kappe“. Der Satz „Ich hätte mir schon gewünscht, dass ich korrigiert werde“ ließ freilich kaum Interpretationsspielraum.
Selbstverständlich war diese Szene nach Spielschluss das Hauptthema. Schließlich hatte Jeffrey Gouweleeuw den Elfmeter verwandelt und der Partie fürs Erste eine Richtung vorgegeben. Nebenbei bemerkt: eine Richtung, unter der die Abstiegskampfkonkurrenten der mit 2:1 siegreichen Augsburger wahrscheinlich noch mehr leiden als die Mainzer. „Was denken jetzt Bielefeld, Stuttgart und Hertha?“, fragte denn auch Bo Svensson. Die Fassungslosigkeit stand dem 05-Trainer schon während des Spiels ins Gesicht geschrieben, nichtsdestotrotz sah er erstaunlicherweise davon ab, seiner Verärgerung lautstark Luft zu machen. Hinterher formulierte er seine Kritik explizit nicht an Jöllenbecks Adresse. „Er ist nicht schuld“, sagte Svensson.
Nicht zum ersten Mal habe Köln so falsche Entscheidungen getroffen. „Wir haben auch schon davon profitiert“, sagte er und hatte wohl Alexander Hacks Tor in Freiburg im Sinn, das zwar auf ein Handspiel überprüft worden war, nicht aber auf die gegebene Abseitsposition. „Was machen die da?“, fragte Svensson, „kriegen die dafür ihren Lohn? Sie haben zwei Szenen zu bewerten“ – die zweite war ein Handspiel des Augsburgers André Hahn, das ihn zu Recht um das vermeintliche 2:0 brachte – „und liegen dann so falsch.“
Die Videoschiedsrichter, resümierte der Däne, „machen viel zu viele entscheidende Fehler. Und das heute war ein so krasser Fehler, wenn du die Chance hast, die Szene unendlich oft zu sehen. Das ist spielentscheidend.“
Robin Zentner warf zudem seinem einstigen Vereinskollegen Niederlechner „eine unsportliche Aktion“ vor, wovon der wiederum nichts wissen wollte. „Es war keine Schwalbe“, beteuerte der Augsburger Stürmer, er habe einen Kontakt gespürt. Den Zeitpunkt des Kontakts konnte er in der Hitze des Gefechts offenbar nicht zuordnen. Das kann passieren.
Originell allerdings, dass sein Kapitän ihm etwas mehr Hinterlist zutraute: „Flo hat das clever gemacht“, sagte Gouweleeuw. „Und wenn der Schiedsrichter dann pfeift, ist es eben Elfmeter.“ FCA-Manager Stefan Reuter konnte sich sogar vorstellen, „dass im Kölner Keller eine Szene zu sehen war, in der Zentner Foul spielt“ – dafür hätte es neben einer funktionierenden Stromversorgung aber auch noch eines Cutters bedurft, der die Bilder in Windeseile zurechtschneidet.
Bei all dem vergaßen die Mainzer nicht, die eigene Leistung selbstkritisch zu beurteilen. In den ersten 35 Minuten seien sie nicht gut gewesen, hielt der Trainer fest, „und die Standards haben wir nicht gut verteidigt“. Das führte nur zwei Minuten nach Silvan Widmers Ausgleich zum 1:2 durch Ruben Vargas. Florian Niederlechner räumte im Übrigen noch ein: „Wenn man die Aktion sieht, ist es kein Elfer.“ Was hätte er auch anderes sagen sollen?