Drei Szenen standen exemplarisch für dieses Spiel zwischen dem FSV Mainz 05 und dem FC Bayern, alle drei aus der zweiten Halbzeit. Die Situation in der 71. Minute, als der weit aufgerückte Mainzer Innenverteidiger Alexander Hack einen scheinbar verlorenen Ball nicht aufgab und fast bis zur Fahne nachsetzte, um eine Ecke zu erzwingen.
Vier Minuten später nahm Torjäger Jonathan Burkardt am eigenen Strafraum dem verdutzten Serge Gnabry von hinten kommend den Ball vom Fuß. In krassem Gegensatz zu so viel Leidenschaft stand Leroy Sané, der nach einem Ballverlust gegen Anton Stach vor dem Mainzer Sechzehner stehenblieb, als hätte ihm jemand den Stecker gezogen, und zuschaute, wie die Rheinhessen sich zum 3:1 konterten.
Leandro Barreiros Treffer nach knapp einer Stunde markierte den Endstand, und wenn man die Leistung der Rheinhessen sehr kritisch unter die Lupe nehmen wollte, musste man ihnen vorwerfen, dass sie den Deutschen Meister sehr glimpflich davonkommen ließen. „Das war nicht das beste Bayern“, sagte 05-Sportdirektor Martin Schmidt, der „Olé, Fiesta“ singend vor die Medienleute getreten war. „Aber das, was sie uns angeboten haben, haben wir genutzt. Eigentlich müssen wir höher gewinnen, aber wir sind auch so hochzufrieden.“
Hinter ihm und seinem Team lägen nach dem 0:5 in Wolfsburg „keine leichten acht Tage“, erzählte Bo Svensson. „Wir mussten einige Sachen innerhalb der Gruppe beantworten, es kamen auch Fragen von außerhalb. Mit dem, was in Wolfsburg los war, konnten wir absolut nicht leben. Aber wir haben heute eine gute Antwort gegeben.“
„Wie von mir gefordert“
Vom Anstoß weg praktizierten die Mainzer den Fußball, für den sie unter diesem Trainer stehen sollen und wollen. Der erste Angriff brachte eine Ecke ein, mit dem zweiten hätte nach 100 Sekunden der Torreigen beinahe begonnen; Jonathan Burkardts Schuss aus extrem spitzem Winkel streifte erst die Latte und sprang von dort an den Pfosten. Weitere Aluminiumtreffer verbuchten Hack per Kopf (11.) und Karim Onisiwo, der den Ball aus 17 Metern an den Querbalken hämmerte, als wollte er ihn spalten (71.).
Die Bayern schienen von den druckvollen, pressenden, bedingungslos kämpfenden und mitunter brillant spielenden 05ern beeindruckt. Diesem Engagement setzten sie kaum etwas entgegen. „Dass du nicht eine Woche nach dem Titelgewinn die Welt einreißen willst, ist menschlich. Aber es macht keinen Spaß“, sagte Trainer Julian Nagelsmann, der froh sein durfte, kein Debakel erlebt zu haben. Die statistisch erfassten 22:7 Torschüsse hätten jedenfalls zu einem solchen führen können; erst recht, da die Qualität der Mainzer Abschlüsse die der Bayern deutlich überstieg.
Nicht von ungefähr verwies Svensson darauf, dass schon der 2:1-Halbzeitstand nach Toren von Jonathan Burkardt und Moussa Niakhaté sowie dem Tor zum 1:2 durch Robert Lewandowski „das Spiel nicht gespiegelt hat. Wir hätten deutlicher führen müssen“. Als Schlüssel zum Sieg bezeichnete der Däne keine bestimmte Szene, auch nicht Barreiros 3:1, das die einzige gute Phase der Münchener rasch beendete. Sondern, „dass wir von Anfang an mutig nach vorne gespielt haben. Mit Power, und vor allem als Team. So, wie von mir gefordert“.
Hinzu kam, dass Svensson nicht nur personell, sondern auch taktisch („und ein bisschen nach Gefühl“) umgestellt hatte. Von der üblichen 3-5-2-Formation war er zugunsten eines 5-4-1 abgerückt. „Mit dem System haben wir auch vor einem Jahr gegen Bayern gewonnen“, erläuterte er später. „Und weil die Wege zum gegnerischen Tor weit werden konnten, brauchten wir Tempo.“
Dafür beorderte er ungewohnterweise Anton Stach und Jonathan Burkardt auf die Außenbahnen. Das schien den Gegner gleichermaßen zu überraschen wie zu überfordern, zumal auch Karim Onisiwo als einzige Spitze serienweise Löcher riss. Am Ende stand in Svenssons drittem Spiel gegen die Bayern der zweite Sieg. Den Trainer wird es, wenn überhaupt, nur am Rande interessieren, aber eine solche Bilanz hatte in Mainz bislang nur einer vorzuweisen. Thomas Tuchel.