Zwei Dinge, auf die sie lange hatten warten müssen, fasste Stefan Bell zusammen: sein zweites Saisontor, das erste lag sechseinhalb Monate zurück, und den „ersten Saisonsieg nach einer gefühlten Ewigkeit“. Dies und die Stimmung im mit 70.000 Zuschauern fast ausverkauften Berliner Olympiastadion ließen die Bundesligapartie des FSV Mainz 05 bei Hertha BSC zu einem „absoluten Highlightspiel“ werden, wie Bell sagte. Dass der Innenverteidiger beim 2:1-Erfolg den Siegtreffer erzielt hatte, war kein Zufall – sondern angesichts der hohen Frequenz, mit der er von der 70. Minute an nicht nur bei Standards im gegnerischen Strafraum auftauchte, fast schon logisch.
Ohnehin war Bell einer der auffälligsten Akteure, die Statistik spuckte 100 Ballaktionen für ihn aus; mehr hatte kein anderer vorzuweisen. Keinen Hehl machte er daraus, dass sein entscheidender Kopfball nach einer Ecke von Anton Stach in der 81. Minute nicht nur aus Mannschaftssicht von Bedeutung war. „Dass ich getroffen habe, war wichtig und hat mir gutgetan.“
Einig waren sich hinterher alle Beteiligten darüber, dass die Mainzer den ersten Bundesliga-Auswärtssieg des Jahres verdientermaßen errungen hatten. Das räumte selbst der Berliner Stürmer Davie Selke ein, der keinerlei Verständnis dafür aufbrachte, dass Schiedsrichter Patrick Ittrich ihn in der Nachspielzeit um den vermeintlichen Ausgleich gebracht hatte, weil er Selkes doppelten Handeinsatz gegen 05-Verteidiger Aarón als Foul wertete.
Wechsel im Mainzer Tor
In der Einschätzung der Leistung aber gingen die Mainzer Meinungen auseinander: Sportvorstand Christian Heidel sprach von einem „Riesenspiel. Wir waren Hertha in allen Belangen überlegen und nur die letzten fünf Minuten ein wenig unter Druck.“ Trainer Bo Svensson kam der Realität etwas näher: „Das war eine ordentliche Leistung, ohne zu glänzen.“
Glück hatten die Rheinhessen in drei Situationen: in der fünften Minute, als Selke nach einem Patzer von Alexander Hack überhastet aus 16 Metern abschloss, statt die freie Bahn zu nutzen, um die Distanz zu verkürzen. In der 25. Minute, als ein grober Fehler des Hertha-Torwarts Marcel Lotka die Führung durch Silvan Widmer ermöglichte. Und in der 89. Minute, als der gerade eingewechselte Luca Wollschläger den Pfosten traf und der Ball beinahe an den Rücken des Mainzer Torwarts (und von dort wahrscheinlich ins Netz) geprallt wäre.
Beim Torwart handelte es sich im Übrigen nicht um Robin Zentner, sondern um Finn Dahmen. „Wir hatten in der bisherigen Saison 35 Pflichtspiele, und alle hat Robin komplett bestritten“, erläuterte Svensson den Wechsel und betonte, dies sei kein Geschenk an seine Nummer zwei gewesen: „Finn hat sich das absolut verdient, er haut sich jeden Tag im Training rein.“ Es sei nicht leicht, Ersatztorwart zu sein, „schon gar nicht, wenn man so gut ist wie Finn, ohne den die deutsche U 21 voriges Jahr nicht Europameister geworden wäre“. Dahmen machte seine Sache in seinem vierten Bundesligaspiel sehr gut, ohne übermäßig gefordert worden zu sein; seine spektakulärste Aktion war ein Flugkopfball, mit dem er außerhalb des Strafraums einen Berliner Angriff stoppte.
Chancenlos war er gegen Selkes Strafstoß in der Nachspielzeit der ersten Hälfte, den es per Videobeweis nach einem Foul von Moussa Niakhaté an Dedryck Boyata gab. Der Mainzer Mannschaftskapitän hatte den Berliner im Gewühl von hinten am Fuß erwischt, doch dass Ittrich dies nach seinem Gang zum Monitor als ahndungswürdig betrachtete, erregte Bo Svensson derart, dass er sich seine siebte Gelbe Karte in dieser Spielzeit einhandelte. Dazu äußern mochte er sich später nicht mehr – „das hat wenig Sinn“.
Die Kommentarfunktion übernahm stattdessen Manager Heidel, indem er einen Vergleich mit der einzigen wesentlichen Strafraumszene anstellte, in der Ittrich tatsächlich danebengelegen hatte: einen Unterarmschlag von Lucas Tousart in Bells Gesicht. „Es ist mir ein völliges Rätsel, wie der Schiri keinen Elfmeter geben kann, obwohl er an den Bildschirm geschickt wird und ganz deutlich sieht, dass Bell den Ellenbogen ins Gesicht gerammt bekommt. Seit wann ist das erlaubt? Wenn man an der Ferse berührt wird, gibt’s Elfer. Wer soll das noch verstehen?“