Nur mal angenommen, Erling Haaland wäre nach einer Stunde Spielzeit am gegnerischen Fünfmeterraum zum Kopfball hochgestiegen, um eine perfekt getimte Flanke zu verwerten, hätte in der Luft aber den Arm des hinter ihm stehenden Stefan Bell in den Rücken bekommen und sich im nächsten Moment auf dem Boden liegend wiedergefunden: Die Wahrscheinlichkeit, dafür einen Elfmeter zu bekommen, wäre sehr hoch gewesen.
Bei Karim Onisiwo jedoch handelt es sich nicht um den mit allen Talenten gesegneten Starstürmer von Borussia Dortmund, sondern um den nimmermüden Arbeiter im Angriff des FSV Mainz 05. Und er war es, der am Mittwochabend im Nachholspiel gegen den BVB in der 60. Minute wie beschrieben gefoult wurde, Emre Can war der Gegenspieler, der ihm den entscheidenden Stoß verpasste. Mit der Folge, dass weder Schiedsrichter Sascha Stegemann pfiff noch der Kölner Keller eine klare Fehlentscheidung erkannte.
„Ein 0:0 wäre auch in Ordnung gewesen“
Außerhalb der Strafräume ahndete der Unparteiische durchaus auch kleinere Vergehen als Cans die Chance vereitelnden Schubser. 05-Trainer Bo Svensson sagte später, er sei mit einigen Entscheidungen des Unparteiischen nicht einverstanden gewesen – in der Tat stimmte des Öfteren die Verhältnismäßigkeit nicht. Dinge, die dazu beitrugen, die Mainzer um den verdienten Lohn für ihre Leistung gegen den Tabellenzweiten zu bringen. „Ein 0:0 wäre auch in Ordnung gewesen“, räumte selbst BVB-Coach Marco Rose ein. Dafür, dass die Mainzer über weite Strecken die bessere Mannschaft waren, dass sie auch mehr und größere Torchancen besessen hatten, wäre selbst ein Punkt noch knapp bemessen gewesen.
Svensson hatte nicht zu viel versprochen, als er am Vortag trotz aller Corona- und Verletzungsprobleme sowie der gesperrten defensiven Stammkräfte Dominik Kohr und Alexander Hack „eine konkurrenzfähige Mannschaft“ angekündigt hatte. Tatsächlich hätte seine Startformation mit leichten Nuancen so auch ohne den Covid-19-Ausbruch vor zwei Wochen so aussehen können.
„Beide Seiten hatten eine Bundesligamannschaft auf dem Platz“, hielt denn auch Sportdirektor Martin Schmidt fest. Einen gravierenden Unterschied gab es freilich bei den Ergänzungsspielern: Hier kamen Boëtius, Brosinski, Papela – dort Haaland, Reyna, Brandt. „Ohne es uns an Wertschätzung mangeln zu lassen, aber die Dortmunder Bank war einen Tick besser bestückt. Da kamen Granaten, die wir nicht haben.“
Dennoch war es dem BVB aus dem Spiel heraus kaum einmal gelungen, gefährlich zu werden. Die Mainzer standen selbst in ihrer schwächsten Phase zwischen der 60. und der 75. Minute, als die Kräfte schwanden und keine Entlastung möglich war, defensiv stabil. Die Dreierkette funktionierte auch mit dem jungen Niklas Tauer, lediglich Haalands erste Aktion stellte Torwart Robin Zentner vor eine echte Prüfung, die dieser glänzend meisterte.
Der Schlussmann, den das Virus heftig erwischt hatte, war erst am Spieltag für einsatzfähig erklärt worden. „Es geht mir nicht gut“, sagte er nach der Partie im Gespräch mit Journalisten, doch das hatte nichts mit der Erkrankung zu tun, sondern allein mit der Niederlage – „die schmerzt mehr als die Coronageschichte“. Insbesondere ärgerte Zentner sich darüber, die Begegnung „durch so ein billiges Tor“ verloren zu haben, jenen Freistoß von Giovanni Reyna in der 87. Minute, den Axel Witsel am langen Pfosten verwertete. „Ich weiß nicht, wie er sich freigelaufen hat, aber am Ende ist es ein Standard, und da müssen wir alles tun, um den zu verteidigen.“
Sein Trainer haderte mit der Entstehung des Freistoßes, weil zuvor Mittelfeldspieler Kevin Stöger in ein Kopfballduell mit Haaland gegangen war, das er verloren hatte. „Wir haben andere Spieler, die das machen können. So haben wir einen unnötigen Freistoß produziert“, sagte Svensson. Vorwürfe richtete er allerdings nicht an die Mannschaft. „Wir haben es verpasst, unsere Angriffe besser auszuspielen und mehr Torchancen zu erarbeiten. Aber die Spieler haben alles auf dem Platz gelassen.“
Sportdirektor Schmidt begab sich auf Nachfrage auf sportphilosophisches Terrain: „Ein Resultat ist immer gerecht. Aber wenn man den ganzen Spielverlauf sieht, ist die Niederlage sicherlich nicht zwingend.“ Sein Schweizer Landsmann, Rechtsverteidiger Silvan Widmer, fasste es treffend zusammen: „Eine Aktion kann das ganze Spiel ruinieren.“