Ein Kärntner in Katalonien. Besser hätte es sich Martin Hinteregger nicht malen können. Er, der Gefühlskicker aus dem Land der Seen und Berge, sportlich heimisch geworden im selbst ernannten Herzen von Europa, dem Zuhause der Eintracht. Seiner Eintracht. Am Donnerstag, beim zum Jahrhundertspiel verklärten Viertelfinal-Hinspiel in der Europa League gegen den FC Barcelona, hat der knorrige Frankfurter Abwehrchef Hinteregger alles, aber auch wirklich alles dafür getan, dass die Eintracht nach dem hochverdienten 1:1 gegen den fünfmaligen Königsklassensieger den Traum vom Halbfinale weiterleben kann. Nichts ist verloren, alles ist noch möglich in diesem Duell Klein gegen Groß, in dem der körperlich gar nicht so große Hinteregger wieder mal über sich hinausgewachsen ist.
Zweikämpfe, Kopfballduelle, Grätschen – es ist das bekannte Portfolio des 29 Jahre alten Abräumers, mit dem er für seine Mannschaft zum Stabilitätsanker wird. Und für die Fans zum Liebling. Auch gegen Barça gab es die allseits bekannten „Hinti“-Rufe. Wenn sie durch die Arena schwappen, scheint es, als würde sich das „Hinti, Hinti“ von Block zu Block verstärken und lauter werden. Vermutlich ist das auch so – und es unterstreicht: Hinteregger besitzt für die Eintracht einen besonderen, speziellen Wert.
Er ist kein Beckenbauer, der als Libero mit tänzerischer Leichtigkeit brilliert. Hinteregger ist der Mann für das Rustikale, Kompromisslose. Den Katalanen vom FC Barcelona hat dies im ersten Kräftemessen überhaupt nicht gefallen. Gegen die von Hinteregger organisierte Abwehr gab es kaum ein Durchkommen. Erst als es einmal gelang, mit einer Ballstafette durchzubrechen, gab es ein Gegentor. Hinteregger konnte nichts machen. Er hatte ja sowieso schon alles gegeben.
Verschossen? Egal.
So wie vor knapp drei Jahren in London, als er keine Sekunde zögerte, um zum entscheidenden Elfmeter im Halbfinale der Europa League zu schreiten. Hinteregger verschoss – und was machten die vielen mitgereisten Frankfurter Fans an der Stamford Bridge: Sie trösteten ihren Liebling nach dem Fehlschuss von Chelsea. Seitdem gibt es diese unverbrüchliche Beziehung zwischen Profi und Fan, die für den sensiblen Hinteregger von herausragender Bedeutung ist.
Hintereggers Karriere ist alles andere als kerzengerade verlaufen. Immer wieder gab es Brüche, Rückschläge, Enttäuschungen. Es ist kein Geheimnis, dass er in seiner Autobiographie „Innensicht“ von Problemen mit Spielsucht schrieb. Dass er mit depressiven Phasen zu kämpfen hatte. Auch bei der Eintracht ging Hinteregger zuletzt durch Täler.
Doch spätestens seit seinem willensstarken Einsatz im Achtelfinale gegen Real Betis, als er mithalf, in der Verlängerung das entscheidende Tor zu erzielen, geht es mit dem Kärntner wieder zielstrebig aufwärts. „Martin hat dieses Tor erzwungen mit allem, was er hatte“, lobte sein österreichischer Landsmann, Eintracht-Trainer Oliver Glasner, den Kraftakt. „Sogar eine Verletzung hat er dabei riskiert. Für ihn freut es mich besonders, da er ein paar schwierige Monate hatte.“
Nun also die Festspiele gegen Barcelona. Der famose Auftakt ist gemacht, die Eintracht ist weiter im Rennen – und Hinteregger schien es ja schon immer gewusst zu haben: „Frankfurt kann Europa“, sagte Hinteregger, der sein persönliches Glück kaum fassen kann. „Mit uns werden in der nächsten Woche 30 000 nach Barcelona fliegen. Man muss sich das einmal vorstellen.“ Ja, es stimmt: „Ich habe, bis ich 13 Jahre alt war, in Sirnitz Fußball gespielt.“ Eine kleine Gemeinde mit knapp 300 Einwohnern, nicht weit weg von Hintereggers Geburtsort Feldkirchen. „Und auf einmal spielt man im Camp Nou vor 99 000 Leuten. Genau dafür spielt man Fußball.“
Kann sein, dass es am kommenden Donnerstag unter Europapokalbedingungen ein paar tausend weniger sein werden. An der imposanten Kulisse ändert es nichts. Die Frankfurter Arena passt zweimal ins Camp Nou. Martin Hinteregger gibt es nur einmal. Für die Eintracht ist das eine gute Sache, denn der Mann mit dem linken Fuß, dem starken Kopf und dem großen Behauptungswillen ist sportlich, menschlich und atmosphärisch ein wichtiger Baustein im Frankfurter Personalpuzzle.
„Hinti ist ein extrem wichtiger Faktor“, lobte Markus Krösche den verlässlichen Kärntner nach dem 1:1 gegen Barcelona. Auch der Sportvorstand der Eintracht weiß: „Er ist gut drauf.“ So gut, dass die Eintracht hoffnungsvoll nach Barcelona fliegt, wo der bescheidene Hinteregger seinen jugendlichen Anfängen in Sirnitz die Krone aufsetzen kann.