Wenn eine gute Stunde vor Spielbeginn des Halbfinal-Hinspiels an diesem Dienstag (21.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Champions League und bei Prime Video) die Aufstellung von Manchester City öffentlich wird, werden viele ganz genau hinschauen.
Die Fans des englischen Klubs werden hoffen, dass Trainer Pep Guardiola nicht wieder in einem besonderen Spiel eine besondere Idee hatte. Die hat er immer mal wieder – zur Freude des Gegners, zum Leid des eigenen Teams. Denn oft ging der Ideenreichtum des Coaches mit unerwarteten Niederlagen kurz vor dem großen Ziel einher.
Guardiola ist natürlich nicht dumm, auch wenn er sagt: „Ich liebe es, dumme Taktiken zu erfinden.“ Der Katalane weiß selbstredend, was man über ihn sagt, daher sagt er zu diesem Thema nur noch etwas mit einer Prise Sarkasmus und einem spöttischen Lächeln: „In der Champions League denke ich immer zu viel nach.“ Das wird er auch vor dem Duell mit Real Madrid machen. Was dabei herauskommen wird? Unklar. Denn das Kuriose ist: Selbst wenn Guardiola diesmal seinem Drang widerstünde, seine eingespielte Erfolgself durcheinanderzuwürfeln, müsste er es dennoch tun. Denn wichtige Spieler werden fehlen.
Linksverteidiger João Cancelo ist im Hinspiel gesperrt. Sein rechtes Pendant Kyle Walker hat seit zehn Tagen nicht trainiert, Innenverteidiger John Stones war ebenfalls angeschlagen. Alternativen? Nathan Ake, Alexander Zinchenko, Aymeric Laporte, Ruben Días – und Stürmer Gabriel Jesus? Der Brasilianer, der am Samstag gegen Watford vier Tore erzielte, in der Defensive? „Wenn Gabriel Rechtsverteidiger spielen muss, spielt er Rechtsverteidiger, kein Problem“, sagte Guardiola zunächst. Später stellte er klar: „Er wird nicht Rechtsverteidiger spielen.“ Sicher? „Vielleicht ein paar Minuten, aber: nein.“ Man erahnt, wie sehr Guardiola das Thema nervt.
Pep Guardiolas krude Ideen
Ob Guardiola das Lachen vergeht oder er lachender Sieger wird, entscheidet sich bald. Immer noch rennt Manchester City dem Henkelpott der Champions League hinterher. Guardiola fordert Hilfe: „Es ist das Halbfinale der Champions League. Ich bitte unsere Fans: Nehmt einen Zug, einen Bus oder ein Auto. Wir brauchen euch.“ Zum dritten Mal erst steht Manchester im Halbfinale der Königsklasse. „Es wird eine besondere Nacht für uns. Wir müssen es genießen und alles geben, was wir haben“, sagt Guardiola. Was aber wird er seinem Team auf den Weg geben? „Es wäre doch langweilig, wenn ich immer gleich spielen würde“, sagt Guardiola. Da war er wieder, der Angstmacher in den eigenen Reihen.
Im Finale 2021 gegen den FC Chelsea verzichtete Guardiola völlig überraschend auf einen defensiven Mittelfeldspieler und öffnete dem Gegner den entscheidenden Raum. Zudem spielte João Cancelo nicht mit, obwohl er in starker Form war. Vertreter Zinchenko patzte beim einzigen Gegentor. Im Jahr davor scheiterte Manchester an Außenseiter Olympique Lyon, weil Guardiola plötzlich mit einer Dreierkette in der Abwehr antrat. Weitere Beispiele? 2019 fehlte Kevin De Bruyne freiwillig gegen Tottenham. City schied aus.
Es gibt also durchaus Gründe, nicht nur vor dem Gegner, sondern auch vor sich selbst zu zittern. Wobei die Erinnerung an Real Madrid gar nicht schlecht ist. Im Achtelfinale 2020 gelangen Manchester City zwei 2:1-Siege – ohne Experimente. Dennoch ist der Respekt vor Real enorm, nicht nur wegen der eigenen Probleme. Schließlich sind die Spanier Dauergast im Wettbewerb um die Fußballkrone Europas, City indes hat viel weniger Erfahrung. „Wenn es nur um die Geschichte geht, haben wir keine Chance, dann sind sie besser“, sagt Guardiola. „Gegen Real Madrid zu spielen ist ein unglaublicher Test.“
Real schaltete bereits Paris St. Germain und den FC Chelsea aus, auch wenn es zwischendurch nicht gut aussah. Diese Comeback-Qualität ist in Manchester gefürchtet. Ilkay Gündogan nennt den Rekordsieger eine „brutale Truppe“ – und meint das ausnahmslos hochachtungsvoll. Vor allem einer verkörpert die unerschütterliche Qualität: Karim Benzema. „Dieser Kerl ist in jedem Spiel der Wahnsinn“, sagt Manchesters Mittelfeldmann Rodri. „Wir müssen auf der Hut sein!“ Zwölf Tore in neun Spielen in dieser Saison in der Champions League sind ein eindrucksvolles Zeugnis seiner Klasse. Da spielt es auch keine Rolle, dass er jüngst in der Liga gegen Osasuna gleich zwei Elfmeter verschoss.

Werktags um 6.30 Uhr
Auf den Sieger des großen Duells im Halbfinale wartet im Endspiel am 28. Mai in Paris Liverpool oder Villarreal, die am Mittwoch (21.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Champions League und bei DAZN) auch erst in England spielen. Ein vermeintlicher Vorteil könnte sein, dass sich Real voll auf die Königsklasse konzentrieren kann, da der Vorsprung in der heimischen Liga groß ist, während City und Liverpool sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen in der Premier League liefern. Da fällt es schwer, den Fokus weg von der Meisterschaft zu lenken, auch wenn Guardiola sie seit 2016 schon drei Mal gewonnen hat.
Viel wichtiger wäre der ersehnte Champions-League-Triumph, dem City weiter hinterherläuft, ähnlich wie Guardiola. Seine Erfolge mit dem FC Barcelona und Lionel Messi in den Jahren 2009 und 2011 sind nur noch blasse Erinnerungen. „Natürlich wollen wir mehr“, sagte Guardiola nun vor dem Heimspiel bei der Pressekonferenz am Montag: „Es ist schön, hier zu sein mit den besten Teams der Welt.“ Manchester müsse „zwei außergewöhnliche Spiele machen, um das Finale zu erreichen.“ Außergewöhnlich, ja. Aber vielleicht diesmal mit gewöhnlicher Aufstellung und Taktik.