In der 59. Minute bekam Fede Valverde so eine Ahnung. Er bemerkte, dass sich vor ihm ein Raum auftat, kein Andrew Robertson in der Nähe, der ihn schloss, auch kein anderer Liverpooler. Erst machte Valverde ein paar vorsichtige Schritte, dann ein paar entschlossene, dann, schon an der Strafraumkante, schoss er Richtung Liverpooler Tor, und weil dort, am zweiten Pfosten noch ein anderer Madrilene so eine Ahnung hatte, Vinicius Junior, wurde daraus der Moment, der das Champions-League-Finale entschied.
Nach dem 1:0-Sieg am späten Samstagabend feierte Real eine große Fiesta in Paris, während sich Liverpool von finsteren Fußballmächten verfolgt vorkommen musste. Wieder Real, wieder verloren, wieder schmerzhaft, auch wenn die Umstände diesmal ganz andere waren. Die Mannschaft von Jürgen Klopp scheiterte an der madrilienischen Resilienz, an Torwart Thibaut Courtois – und ein bisschen auch an sich selbst.
Damit endet auch die Serie deutscher Trainer, die die Champions League zuletzt drei Mal gewannen, Klopp, Hansi Flick, Thomas Tuchel, stattdessen ist Carlo Ancelotti nun alleiniger Rekordhalter mit vier gewonnenen Champions-League-Pokalen. Für Madrid war es der 14. Sieg, und der achte in acht Finals, seit der Wettbewerb als Champions League firmiert. Damit ist Real auch Gegner der Frankfurter Eintracht im europäischen Supercup am 10. August in Helsinki, aber das war an diesem Samstagabend im Stade de France, wohin das Finale infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine von Sankt Petersburg verlegt worden war, noch weit weg.
Anpfiff mehr als 30 Minuten verspätet
Es war ein Abend, der viel Geduld erforderte. Als das große Finale beginnen sollte, tat sich nämlich erst einmal: nichts. Gähnende Leere auf dem Spielfeld um 21 Uhr, auch die gerade noch aktiven Rasensprenger hatten den Dienst eingestellt. Der Anpfiff war verschoben, mal hieß es, weil so viele Fans verspätet vor den Toren stünden, dann wieder, in nicht gerade beruhigender Unklarheit, „aus Sicherheitsgründen“. Dass etwas nicht stimmte, konnte man beim Blick auf die Liverpooler Kurve sehen, die war in den oberen Rängen nur etwa zur Hälfte gefüllt, während die madrilenische Kurve in nahezu lückenlosem weiß leuchtete.
Helikopteraufnahmen zeigten eine größere Zahl von Menschen vor den Eingängen auf Liverpooler Seite. Es gab nun Berichte, dass sich Liverpool-Fans ohne gültige Tickets Zugang zum Stadion verschafft hätten, woraufhin die Zugänge gesperrt worden seien. Bilder in den sozialen Netzwerken zeigen Fans, die über Zäune kletterten, es gab Berichte über den Einsatz von Tränengas, das ganze Ausmaß des Chaos und die Verantwortlichkeit wird noch zu untersuchen sein. Ein unerfreulicher Beginn war es allemal.
Stand dem möglichen Ausgleich gleich mehrmals im Weg: Real-Madrid-Torhüter Thibaut Courtois
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Bild: AP
Als der mit dem Friedenswunsch „Peace – Mir“ bedruckte Ball rollte, war schnell klar, worauf Liverpool es abgesehen hatte, voller Schärfe und Entschlossenheit jagten sie Ball und Gegner, Blues nach der verpassten Meisterschaft? Von wegen, auf dem frisch verlegten Rasen von Paris herrschte Code Red. Ein bisschen Anlaufzeit brauchte Klopps Team, um sich auch dem Tor zu nähern, aber nach einer guten Viertelstunde war es so weit. Kein Zufall, dass Trent Alexander-Arnold bei zwei von drei Chancen beteiligt war, der Rechtsverteidiger schob das Spiel derart dynamisch an, dass Bundestrainer Flick neidisch werden musste, auch Mo Salah war zwei Mal beteiligt.
Einen kurzen Schreckmoment hatte es für Liverpool beim Aufwärmen gegeben, als Thiago Alcántara das Programm unterbrechen musste, doch der frühere Bayern-Profi, eine Schlüsselfigur in Klopps Team, konnte mitmachen. Ein womöglich künftiger Bayer schnupperte dann an der Liverpooler Führung. Sadio Manés Schuss aus gut 16 Metern lenkte Courtois mit den Fingerspitzen unter gerade noch günstigen geometrischen Umständen an den Innenpfosten.