Für das Aufflammen des Titelkampfes kommt die Dortmunder Torfreude wohl zu spät. Zumindest als Spaßbremse bei der geplanten Meisterfeier des FC Bayern könnte der BVB aber noch taugen. Nach dem 6:1 (5:0) gegen den VfL Wolfsburg hofft Trainer Marco Rose nicht nur mit Blick auf den folgenden Ligahit beim Serienmeister auf ein Saisonfinale mit viel Spektakel. „Heute hat es richtig Spaß gemacht und hat sich großartig angefühlt“, sagte Rose nach dem Tor-Festival: „Es herrschte eine tolle Atmosphäre. Es sollte zu einer Art Droge werden, diese Stimmung immer zu haben.“
Erstmals seit seinem Amtsantritt im Sommer erlebte Rose knapp 80.000 ausgelassen feiernde BVB-Fans im Dortmunder Fußballtempel. „Wir sollten dieses Stadion mit Fans wieder zu einer Festung machen“, forderte der Coach: „Ohne Fans haben wir es ganz ordentlich hinbekommen. Und dann haben wir die erste Party mächtig in den Sand gesetzt. Umso toller ist es, dass die Leute diesmal glücklich nach Hause gehen.“ Zwei Wochen zuvor hatte der BVB vor erstmals wieder vollen Rängen eine 1:4-Heimpleite gegen RB Leipzig kassiert.
Am Samstag lief plötzlich alles für den Tabellenzweiten, und es gab zahlreiche positive Geschichten: Fünf Treffer in weniger als 14 Minuten zum Beispiel zur höchsten Pausen-Führung Dortmunds im eigenen Stadion. Das Ende der Torflaute von Erling Haaland nach für ihn gefühlt endlosen fünf Spielen. Und nicht zuletzt das traumhafte Debüt des erst 17 Jahre alten Tom Rothe.
„Freue mich aufs Eiersammeln“
Der Teenager hatte bei seinem Bundesliga-Debüt das 1:0 erzielt (24. Minute) und die furiose Viertelstunde mit Toren von Axel Witsel (26.), Manuel Akanji (28.), Emre Can (35.) und Haaland (38.) eingeleitet. Haaland legte das 6:0 nach (54.). „Über einzelne Spieler zu reden, macht heute gar keinen Sinn“, sagte Rose nach der kollektiv starken Leistung: „Außer über Tom Rothe. Und der will das nicht.“
Als Rose dennoch nach seiner Einschätzung zur Leistung von Rothe befragt wurde, zog er die Stirn in Falten. „Das ist eine rhetorische Frage, oder?“, fragte der Trainer zurück. Das Bundesliga-Debüt Rothes bedurfte keiner Kommentare. Die Fakten sprachen für sich. Beim Verlesen der Aufstellung gegen 15.20 Uhr war der Teenager vielen BVB-Fans merklich unbekannt, eine halbe Stunde später hatte er sich in einige Bestenlisten gespielt, und noch während des Spiels erhielt er den zuvor nicht vorhandenen Wikipedia-Eintrag. Er ist der jüngste Abwehrspieler der Borussia und durch sein Tor wurde er zum viertjüngsten Torschützen der Liga-Historie.
„Nicht so schlecht“, sagte Rothe lachend, als er seinen Treffer beim Interview auf dem Bildschirm sah. Ostergeschenke brauche er nun nicht mehr: „Ich bin glücklich mit dem Spiel. Trotzdem freue ich mich auf das Eiersammeln mit der Familie.“ Der U-19-Nationalspieler, der zuvor in der Bundesliga nie im Kader gestanden hatte, sei „für sein Alter sehr abgeklärt“, konstatierte Rose: „Er hat uns gezeigt, dass wir ihn zurecht reingeschmissen haben. Ich hoffe, das ist Ansporn für mehr.“ Er werde hart weiterarbeiten, versicherte Rothe: „Und den Ball flach halten.“
Bei zwölf Punkten Vorsprung, nur noch vier ausstehenden Spielen und einer um 18 Treffer besseren Tordifferenz gegenüber dem Fünften Freiburg hat der BVB die Champions League quasi schon gebucht. Und vor dem Ligahit am kommenden Samstag (18.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Bundesliga und bei Sky) nach einer Saison mit frühem Scheitern in drei Pokal-Wettbewerben zumindest das Kernziel souverän erreicht. So gesehen fahren die Dortmunder nun mit deutlich weniger Druck zum ewigen Rivalen nach München.
Und Haaland, Dortmunds größte Waffe, scheint vor dem Gipfel neben der Torflaute auch die gröbsten gesundheitlichen Probleme am Knöchel überwunden zu haben. „Er ist nicht schmerzfrei, aber man konnte sehen, dass er die Schmerzen sehr gut toleriert“, sagte Rose. Der Norweger stieg zwar erst in die Torproduktion ein, als das Spiel schon entschieden war, doch Rose erkannte noch mehr: „Er hat sehr gut mitgespielt, uns viel Tiefe gegeben, war sehr präsent als Wandspieler und hat das zweite Tor toll aufgelegt.“
Und während Rose so über sein Team und seine Spieler schwelgte, saß sein Kollege Florian Kohfeldt niedergeschlagen auf dem Podium. „In der ersten Halbzeit war das eine desolate Leistung in allen Belangen, die ein Fußball-Spiel erfordert“, sagte er: „Das geht nicht, das war katastrophal. Ein Nackenschlag hat gereicht, um uns aus der Bahn zu werfen. Und das Problem ist leider nicht neu.“
Genau deshalb muss Kohfeldt – immerhin seit 21 Bundesliga-Spielen im Amt – neben den zwei Siegen zum sicheren Klassenverbleib wohl auch noch fleißig Pluspunkte für sich selbst sammeln, bevor die Saison-Analyse ansteht. „Alles nach dem 1:0 war nicht bundesligatauglich“, sagte Sportdirektor Marcel Schäfer: „So ein Auftritt ist eines VfL Wolfsburg nicht würdig.“