Das kann was werden. Das wird nichts mehr. Das wird ganz sicher nichts mehr. Das wird ganz eng. Charaktere, welche die Aufstiegschancen der „Lilien“ nach jedem Wochenende neu taxieren, dürften ihre Meinung zuletzt häufig geändert haben. Da waren die Wochen zwischen Mitte März und Mitte April, als Darmstadt 98 drei von drei direkten Duellen gegen Mitkonkurrenten verlor. Und da war der 2:1-Erfolg auf St. Pauli am vergangenen Samstagabend. Ein Gemeinschaftswerk par excellence, als der SVD den in der ersten Halbzeit herausgeschossenen Vorsprung nach der Pause gegen Hamburger Dauerdruck hingebungsvoll verteidigte. Ein Kraftakt, der bestens geeignet war, neue Kräfte freizusetzen.
Und schwupps: Angesichts von Rang drei bei noch drei ausbleibenden Zweitligapartien ist wieder die Rede davon, dass die Darmstädter alles in der eigenen Hand hätten – zumindest um den Relegationsplatz zu sichern. Um sicher zu gehen, braucht der SVD, der in der Rückrundentabelle nur auf Rang sechs (mit negativem Torverhältnis) steht, drei weitere Siege zum Saisonabschluss. Angefangen mit dem Heimspiel gegen den Tabellenvorletzten Erzgebirge Aue an diesem Samstagabend (20.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur 2. Bundesliga und bei Sky).
Die „Lilien“ haben in dieser Runde bewiesen, dass sie jederzeit, auch unerwartet, in der Lage sind, groß aufzutrumpfen. Auch wenn der Flow der Hinrunde nur noch zeitweise auflebt. „Die Gruppe funktioniert einfach gut. Sie hat schon häufig bewiesen in dieser Saison, dass sie Ausfälle, Sperren und Formschwankungen wegstecken kann“, sagt Sportdirektor Carsten Wehlmann.
Auch die bewährten Duos sind zurück
Rechtzeitig zum packenden Zweitliga-Saisonfinale scheinen auch die in der Hinrunde so bewährten Duos ganz hinten und ganz vorne wieder nahe an alter Stärke zu sein. Patric Pfeiffer und Thomas Isherwood waren auf St. Pauli zwei astreine Abwehrarbeit verrichtende Türme in der Innenverteidigung. Und im Angriff sind aus den einstigen Sorgenkindern Phillip Tietz und Luca Pfeiffer wieder Torjäger mit adäquater Trefferquote geworden.
Etwas unter in der Öffentlichkeit geht trotz seines Kapitänspostens oft Fabian Holland. Ein ruhiger Vertreter seiner Zunft, dem die Rolle als Außenminister der Mannschaft nicht so sehr behagt, mitunter sogar Unwohlsein bereitet. Aber intern ist der dienstälteste „Lilien“-Profi – seit 2014 im Verein – hoch respektiert, sein Wort hat Gewicht. „Ich würde ihn eher als einen ruhigen, dennoch aber sehr zielgerichteten Kapitän beschreiben, der sehr teamorientiert ist“, sagt Cheftrainer Torsten Lieberknecht. „Er braucht nicht das Rampenlicht, um das Kapitänsamt auszuüben, bei ihm findet eher viel im Hintergrund, also innerhalb der Kabinenwände statt.“
Auf St. Pauli zeigte er bei seiner 200. Zweitligapartie eine weitere exzellente Leistung – nicht nur wegen seines Volltreffers in den Torwinkel zum 2:0. Lieberknecht bezeichnet Hollands linken Fuß als „unglaublichen Schlappen“. Und in dieser Saison kommt der 31-Jährige auch emotional während der Spiele mehr und mehr aus sich heraus, wird mehr und mehr zum Vorkämpfer, unterfüttert seine sportlichen Leistungen mehr und mehr mit entsprechender Kommunikation, Gestik und Mimik.
Holland selbst sagt: „Generell ist es so, dass man als Spieler mit jedem Jahr Erfahrungen sammelt und dazulernt. Das gilt auch im Bezug darauf, wie man mit anderen Spielern und damit auch verschiedenen Typen umgehen sollte, wie unterschiedlich man seine Mitspieler anpacken muss oder wie man auf Situationen auf dem Platz reagiert.“
Holland und der Kollege Tobias Kempe sind die letzten verbliebenen SVD-Spieler, welche das Wirken des 2016 nach langem Krebsleiden mit nur 26 Jahren verstorbenen „Lilien“-Fans Johnny Heimes noch hautnah erlebt haben. Vor dem Spiel auf St. Pauli beschwor Kapitän Holland in der Kabine noch einmal den Geist von Heimes, dessen Motivationsbändchen mit der Aufschrift „DU MUSST KÄMPFEN“ einst den Zweitligaaufstieg via Relegation in Bielefeld mit ermöglichten. Am Millerntor trugen alle SVD-Profis die Bändchen.
Die „Lilien“, so scheint es, ziehen im Aufstiegskampf nun alle Register. „Das Thema Johnny war nie weg“, sagt Wehlmann, „weil er und seine Werte in der DNA von Darmstadt 98 verankert sind.“