Am Horizont Michel und Elbphilharmonie, vom nahen Heiligengeistfeld wehen Gerüche und Geräusche des Doms heran, und gleich hinter der Anzeigetafel dreht sich gemächlich das Riesenrad: wenn Hamburg sein Volksfest feiert und am Millerntor Fußball gespielt wird, sind die Wahrzeichen der Stadt stumme Zeugen in einem wahrhaft stimmungsvollen Rahmen.
Wie unterhaltsam Fußball der Marke zweite Liga doch sein kann, wenn sich wie am Samstagmittag zwei Traditionsvereine im Aufstiegsrennen begegnen und fast 30.000 Menschen zuschauen, jubeln, mitleiden – man hatte fast vergessen, wie schnell 95 Minuten vorbei sein können, wie sehr man sich eine Verlängerung gewünscht hätte.
Da war es gleichgültig, dass beim 1:1 der sich in Sympathie verbundenen Nordrivalen niemand als Sieger den sattgrünen Rasen verließ, beide Trainer indes für sich reklamierten, verdienter Sieger dieser packend beginnenden und endenden Partie hätten sein zu können.
Wenn überhaupt, musste sich der SV Werder ärgern. Remis gegen den SV Sandhausen, nun ein Punkt am Millerntor – dennoch weiterhin beeindruckend liest sich die Serie unter Trainer Ole Werner, zehn Siege in 14 Spielen. Durch den Darmstädter Patzer beim „Club“ bekam dieses 1:1 sogar einen zusätzlichen Wert.
Doch die Chancen der „hässlichen Vögel“ (O-Ton Niclas Füllkrug) im Werder-Sturm waren so gut, dass der Ertrag eines Treffers tatsächlich mager wirkte. Füllkrug in der 25. Minute, Marvin Ducksch zwei Zeigerumdrehungen später: Ehe Daniel-Kofi Kyereh dem FC St. Pauli das 1:0 schenkte (42.), hätte der Bundesliga-Absteiger zweimal jubeln können. Nach Füllkrugs Ausgleich in der 58. Minute schnupperte Werder bei Duckschs Lattentreffer in der 86. Minute und Füllkrugs Kopfball wenig später am Sieg: „Dem Lucky Punch waren wir näher“, sagte Füllkrug, der sich nicht grämen wollte, auch wenn Werder dem FC Schalke Platz eins überlassen musste: „Wichtig war, nicht zu verlieren.“
Sie verkörpern die Freude am Spiel
32 Tore haben Füllkrug und Ducksch, die selbsternannten „hässlichen Vögel“, inzwischen erzielt; beim 1:1 im Hinspiel standen sie erstmals gemeinsam auf dem Platz; was unter Trainer Markus Anfang eine Notlösung war, ist die Bremer Lebensversicherung im Aufstiegskampf geworden: ein Genuss zu sehen, wie die beiden sich suchen, wie sie beim Konter ausschwärmen, wie sie drei oder vier Verteidiger beschäftigen. Sie verkörpern die Freude am Spiel, die die ganze Mannschaft seit Wochen ausströmt.
Es ist gefällig und auch zielstrebig, wie Werder in den guten Phasen sein Spiel aufzieht – in der Anlage hatte Werners Team deutliche Vorteile. Unaufgeregt im Wirken und klar in seinen Vorgaben hat er aus dem neben Schalke teuersten Kader des Unterhauses etwas gebaut, das allemal zum Aufstieg taugt – da steckt jede Menge Erfahrung aus der Bundesliga drin, was man von St. Pauli um Trainer Timo Schultz wahrlich nicht behaupten kann.
Und doch hätte auch sein Team den Sieg verdient gehabt. Zwei strittige Szenen wurden nämlich leidenschaftlich diskutiert. Zweimal blieb Florian Badstübners Pfeife stumm: erst, als Guido Burgstaller im Bremer Strafraum über Mitchell Weisers Bein fiel (40.), dann, als Felix Agu den Ball mit einem tiefen Vorhand-Volley durch Marcel Beifus’ Beine schob und so den Ausgleich präparierte.
Elfmeter und Freistoß für St. Pauli hätte es geben können. Badstübner entschied sich dagegen. Gesprächsbedarf ja, Schiedsrichter-Schelte nein: Schultz sprach lieber davon, wie gut sein Klub fünf Spieltage vor Ultimo dastehe. Er wirkte voller Vorfreude darauf, was bis zum Saisonfinale noch kommt. Und das passte bestens zu diesem Spiel, zu dieser Liga.