Bondscoach Louis van Gaal :
„Leider habe ich meistens recht“

Von Daniel Theweleit, Amsterdam
Lesezeit: 4 Min.
Reizfigur und Visionär: In Deutschland hat Louis van Gaal Spuren hinterlassen.
Louis van Gaal will mit dem WM-Titel sein Lebenswerk krönen. Von den deutschen Testgegnern erinnert sich einer besonders gerne an ihn. Ein Niederländer bekommt indes van Gaals ruppige Art zu spüren.

Auch im Alter von 70 Jahren und nach einer weniger erfolgreichen letzten Episode als Vereinstrainer bei Manchester United hat das legendäre Selbstvertrauen von Louis van Gaal nicht gelitten – wie am Montag zu sehen war. Seit Jahren tobt in den Niederlanden eine Fußballdebatte über die Schönheit des Offensivspiels und die Zwänge der Realität.

Immer wird darüber gestritten, ob es möglich sei, dass die Auftritte der Nationalmannschaft in dem zuletzt häufig gewählten System mit drei Innenverteidigern den ästhetischen Ansprüchen dieser Fußballnation genügen können. „Meine Überzeugung ist, dass wir mit den Spielern, die wir haben, am besten dieses System spielen können“, sagte die Trainer-Legende nun und fügte einen dieser kleinen überheblichen Van-Gaal-Sätze hinzu, die so typisch sind für diesen Mann: „Leider habe ich meistens recht.“

Auch am Dienstagabend (20.45 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Fußball-Nationalmannschaft und in der ARD) im Spiel gegen Deutschland wird van Gaal sein Team so spielen lassen, und die Atmosphäre im Vorfeld dieses für beide Nationen bedeutsamen Tests ist von einer gegenseitigen Wertschätzung und Sympathie bestimmt, die nicht immer so ausgeprägt war, wenn Holländer auf Deutsche trafen.

„Ich finde die Deutschen sind ganz freundliche Menschen, ich habe dort gewohnt, ich kann das wissen“, entgegnete van Gaal einem Reporter, der an das Gift in früheren Duellen erinnert hatte. Auf der anderen Seite wird sogar geschwärmt von van Gaal und seiner Bedeutung für die Entwicklung des Spiels in der Bundesliga.

„Müller spielt bei mir immer“

So wurde van Gaal am Montag mit einer Aussage aus dem Jahr 2009 konfrontiert, die immer noch sehr präsent ist in Deutschland und ganz besonders in München. Als der Niederländer in jenem Sommer beim Rekordmeister eingestellt wurde, sagte er nach ein paar wenigen ersten Eindrücken über ein 19 Jahre altes Talent aus der zweiten Mannschaft, das von seinen Vorgängern kaum beachtet worden war: „Thomas Müller spielt bei mir immer.“ Damit sorgte er für Verblüffung, wurde aber schnell gelobt, weil er die Begabung dieses späteren Weltstars so klar erkannte.

Er freue sich auf das Wiedersehen und werde sich einige Minuten Zeit für eine Unterhaltung nehmen, sagte Müller in der vergangenen Woche und wies noch einmal auf die Hinterlassenschaft seines Förderers hin: „Van Gaal hat trotz seiner etwas kürzeren Amtszeit nicht nur beim FC Bayern München, sondern generell in der Bundesliga einen bleibenden Eindruck hinterlassen.“

Van Gaals Blick auf das Spiel war prägend für die Münchner Erfolgsjahre zwischen 2013 und heute, in denen er längst anderswo arbeitete. Der eigenwillige Niederländer habe „dem FC Bayern ein neues Gesicht gegeben“ und den Spielern „eine neue Art, Fußball zu spielen“, vermittelt, sagte Philipp Lahm am vorigen Wochenende bei „Bild TV“, einen Stil „mit mehr Ballbesitz und mehr Kontrolle“.

Es war der Niederländer, der Bastian Schweinsteiger vom Flügelspieler zu einem Sechser umschulte, Lahm lernte, wie ein Linksverteidiger das Spiel machen kann, und auch Hansi Flick hat sich von seinem Kollegen inspirieren lassen. Er freue sich auf die Begegnung mit van Gaal, „der den Fußball in München geprägt hat, die Philosophie“, sagte der Bundestrainer. Er habe sich „sehr daran orientiert, überhaupt am niederländischen Fußball, Foppe de Haan, Johan Cruyff, van Gaal“.

Die Ergebnisse des Niederländers beim FC Bayern waren jedoch nicht zufriedenstellend, und van Gaals Art zu kommunizieren war für manche Münchner nur schwer erträglich. Im Internet kursieren Rankings mit „van Gaals Opfern“, in denen Spieler wie Ángel Di María, Rivaldo, Luca Toni, Miroslav Klose, Lucio oder Robin van Persie auftauchen. Klose schildert in seiner Biographie, wie arrogant er sich von van Gaal behandelt fühlte, nachdem er im ersten Jahr unter diesen Trainer kaum gespielt, im Sommer darauf aber vier Tore bei der WM in Südafrika geschossen hatte.

Zurück in München, tat van Gaal so, als habe er gar nichts von Kloses guten Leistungen mitbekommen. „Es ist schwierig, mit ihm zu reden, weil er die Meinungen anderer Leute nicht akzeptiert“, hat der damalige Münchner Präsident Uli Hoeneß einmal gesagt. Nach 20 Monaten wurde van Gaal entlassen.

Van Gaal will Weltmeister werden

In diesen Tagen bekommt nun Ryan Gravenberch die ruppige Art dieses Fußball-Lehrers zu spüren. Der vom FC Bayern umworbene Mittelfeldspieler wurde nicht zur Nationalmannschaft eingeladen, weil er gerade eine „sehr schlechte Phase“ durchlaufe, hatte van Gaal erklärt, Gravenberch widersprach prompt: Nach der Winterpause und einer Covid-Erkrankung komme er gerade wieder in Form. Dass van Gaal weniger Wert auf Diplomatie und Harmonie legt als die meisten jüngeren Trainer, kann ganz schön anstrengend sein.

Zum Beispiel für die Gastgeber der Weltmeisterschaft in Qatar. Es sei „lächerlich“, ja „Bullshit“, so ein Turnier in diesem Land auszutragen, hatte der Niederländer jüngst erklärt und damit eine zornige Gegenreaktion ausgelöst. „Für jemanden, der seit so vielen Jahren dabei ist und die Kraft des Fußballs versteht, ist es lachhaft, ein derart nichtssagendes Statement abzugeben“, erwiderte WM-Chef Hassan al-Thawadi. Er sei sicher, van Gaal habe sich „nicht viel Zeit genommen“, um sich mit der Bedeutung des Fußballs in Qatar und der arabischen Welt zu beschäftigen.

Aber das ist auch nicht die Hauptaufgabe dieser speziellen Trainerfigur, deren größte Erfolge der Gewinn der Champions League mit Ajax Amsterdam 1995 und der dritte Platz mit Holland bei der WM 2014 waren. Nun bastelt er um Kapitän van Dijk sowie Frenkie de Jong vom FC Barcelona eine Mannschaft, die sein Lebenswerk krönen soll: Van Gaal will Weltmeister werden. Was auch sonst.