Fußball-WM 2022 : Amnesty prangert Ausbeutung im Gastgeberland Qatar an
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Das Lusail Stadion in Qatar Bild: Reuters
Die Fußball-WM 2022 in Qatar ist hoch umstritten. Das unterstreicht der neue Jahresbericht von Amnesty International. Was SPD-Chef Lars Klingbeil vom DFB erwartet.
Amnesty International sieht weiterhin gravierende Mängel im WM-Gastgeberland Qatar. Trotz staatlicher Reformen seien Arbeitsmigranten im Jahr 2021 „weiterhin von Ausbeutung betroffen“ gewesen und hätten „Schwierigkeiten, ihren Arbeitsplatz frei zu wechseln“ gehabt, heißt es im Jahresbericht 2021/22 der Menschenrechtsorganisation.
Vor der Endrunde der Fußball-WM in diesem Jahr (21. November bis 18. Dezember) „schränkten die Behörden das Recht auf Meinungsfreiheit noch stärker ein“. Frauen sowie lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) seien zudem „sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben weiterhin diskriminiert“ worden.
Das Emirat steht seit Jahren in der Kritik. Berichte über Tausende tote Arbeiter sorgen immer wieder für laute Kritik - insbesondere aus Europa. Die Regierung des Emirats verweist auf etliche Reformen zur Verbesserung der Menschenrechtslage und der Bedingungen für ausländische Arbeiter. So baute Qatar das Kafala-System ab. Dieses auch in anderen Ländern der Region verbreitete System bindet ausländische Arbeiter fest an einen einheimischen Bürgen wie einen Arbeitgeber. Verstöße gegen die neuen Gesetze würden rigoros verfolgt.
„Ausbeuterische Praktiken“
„Trotz anderslautender Zusicherungen versäumte es die Regierung, Reformen einzuführen und durchzusetzen, was dazu führte, dass ausbeuterische Praktiken und die schlimmsten Elemente des Sponsorensystems (Kafala) fortbestanden“, schreibt Amnesty über die vergangenen Monate. Die Behörden hätten es zudem unterlassen, „den Tod Tausender Arbeitsmigranten gründlich zu untersuchen, die in den vergangenen Jahren plötzlich und unerwartet gestorben waren, obwohl sie vor ihrer Einreise nach Qatar die vorgeschriebenen medizinischen Tests bestanden hatten“.
Diese „Unterlassung“ bedeute, dass Qatar „ein zentrales Element des Rechts auf Leben nicht schützte, denn es ließ sich nicht feststellen, ob der Tod der Männer im Zusammenhang mit ihren Arbeitsbedingungen stand“. Außerdem bliebe den Hinterbliebenen dadurch die Möglichkeit verwehrt, von den Arbeitgebern oder den qatarischen Behörden eine Entschädigung zu erhalten.
Klingbeils Erwartungen an den DFB
SPD-Chef Lars Klingbeil hat im Hinblick auf das umstrittene Turnier klare Erwartungen an den Deutschen Fußball-Bund (DFB). „Die WM findet statt. Ich finde auch, sie muss mit deutscher Beteiligung stattfinden. Aber sie darf eben nicht im luftleeren Raum stattfinden“, sagte er dem Sport-Informations-Dienst am Montagabend in Berlin: „Wir müssen auch das Politische, das Soziale und all die Begleitumstände dort thematisieren. Und dies ist das, was ich vom DFB erwarte.“
Am Rande der Verleihung der Sepp-Herberger-Awards in der Hauptstadt betonte der Politiker, er sei „dankbar“, dass der DFB die Menschenrechtslage in Qatar „zunehmend aufgreift“. Der F.A.Z. hatte Klingbeil im Februar gesagt, er halte die Entscheidung für grundsätzlich falsch, das Turnier in das Emirat zu vergeben. In Richtung des Deutschen Fußball-Bundes sagte der SPD-Chef damals: „Der DFB ist politischer Akteur. Er braucht eine Haltung und kann nicht einfach nur nach Qatar fahren, um dort Fußball zu spielen."
Zuletzt hatten die Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch und Amnesty International vor der Nationalmannschaft Vorträge gehalten. „Das war eine sehr wichtige und ernste Veranstaltung. Ich finde es wichtig, dass man sich mit diesem Thema auseinandersetzt“, sagte der neue DFB-Präsident Bernd Neuendorf.
Nach Ansicht der 60-Jährigen könne der Fußball während der WM (21. November bis 18. Dezember) zur Verbesserung der Situation vor Ort beitragen. So sei es wichtig, „diejenigen zu stärken, von denen wir glauben, dass sie für eine Öffnung stehen und für einen liberaleren Kurs“, sagte Neuendorf: „Dass man diese Leute in ihren Anliegen unterstützt, ist ein wichtiger Schritt. Sie brauchen diesen Zuspruch. Das ist das, was der Fußball leisten kann im Zuge eines solchen Turniers.“
Bierhoff will mit Politik „Hand in Hand agieren“
Unterdessen setzt DFB-Direktor Oliver Bierhoff in der kritischen Auseinandersetzung mit Qatar auf die Zusammenarbeit mit der deutschen Politik. „Vielleicht können der deutsche Fußball und die deutsche Politik auch in dieser wichtigen Frage Hand in Hand agieren, indem wir die Aufmerksamkeit einer Fußball-WM nutzen, um Prozesse in Qatar weiter voranzutreiben“, sagte Bierhoff der Frankfurter Rundschau. Zuletzt war Wirtschaftsminister Robert Habeck für Verhandlungen über eine Energiepartnerschaft nach Katar gereist.
Bei seinen Besuchen im umstrittenen Austragungsland der Fußball-WM in diesem Jahr (21. November bis 18. Dezember) habe er bisher „nur schöne Stadien, Trainingsplätze und Hotels zu sehen bekommen. Ich bin nicht optimistisch, dass wir noch tiefere Einblicke gewährt bekommen“, sagte Bierhoff, der in Qatar bislang „vornehmlich“ mit Verantwortlichen des Weltverbandes FIFA und den Organisatoren gesprochen hat.
Einen Überblick wie vor den WM-Turnieren 2010 und 2014 konnte er sich daher noch nicht verschaffen. In Südafrika oder Brasilien sei es etwa möglich gewesen, „Townships und Favelas zu besuchen“, sagte Bierhoff. Mit Blick auf Menschenrechtsverletzungen in Katar habe er sich von „Nichtregierungsorganisationen beschreiben lassen, was wir wahrscheinlich nie zu sehen bekommen werden“.
Trotz allem will Bierhoff die sportlichen Ziele nicht aus den Augen verlieren. „Wir müssen aufpassen, dass wir uns den wichtigen und nötigen politischen Debatten nicht verschließen, aber gleichzeitig auch eine innere Euphorie wecken, die aus dem Team heraus entsteht“, sagte Bierhoff vor der Gruppenauslosung am Freitag in der katarischen Hauptstadt Doha.