DFB-Auswahl im WM-Jahr : Von wegen Vorfreude bei der Nationalmannschaft
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Strecken und strecken lassen: Kai Havertz beim Aufwärmen und Bundestrainer Flick beim Zuschauen haben in Frankfurt ein wenig Spaß. Bild: GES/Markus Gilliar
Das WM-Jahr der Fußball-Nationalmannschaft wird in vieler Hinsicht schwer. Für Leichtigkeit vor dem Testspiel gegen Israel sorgt Thomas Müller. Der DFB hilft der Ukraine und nimmt Nachhilfe für Qatar.
So sieht ein Fußballfrühlingstraum aus: Die Sonne strahlte über dem Trainingsplatz an der Frankfurter Arena, die Nationalspieler und ihr Trainer verströmten Vergnügen und Leichtigkeit, auch wenn Hansi Flick qua Amt hin und wieder den gestrengen Lehrer geben musste: Qualität bei den Pässen! Nicht nachlassen! Aber auch ihm stand an diesem Dienstagmorgen die Freude ins Gesicht geschrieben, dass er wieder mit seiner Mannschaft auf dem Platz stehen kann.
Die Bälle sausten, die Spieler schufteten und scherzten, und die Kindermannschaft von Makkabi Frankfurt, die anlässlich des bevorstehenden Testspiels gegen Israel am Samstag in Sinsheim eingeladen war, musste auch nicht ohne einen Thomas-Müller-Jux nach Hause gehen. „Seht ihr’s“, rief der seinen Kollegen zu, nachdem er einen Ball über den Kasten gedroschen hatte, der sich dann nach längerer Flugphase doch noch in ein Minitor senkte. „Immer ein Extra-Plan!“
Leichtigkeit des Fußballs
Sie hatte etwas Unschuldiges, diese Leichtigkeit des Fußballer-Seins, als wenn all das gerade Pause hätte, was sonst so auf der Welt passiert. Flick hatte schon am Freitag vom Privileg gesprochen, diesem Beruf weiter nachgehen zu können. Aber es sind, das dürfte auch den Nationalspielern klar sein, traumwandlerische Momente in einer Welt, die auch für sie nicht mehr dieselbe ist, sobald sie den Platz verlassen.
Zur Mittagszeit saß Oliver Bierhoff bei der Pressekonferenz im Teamhotel in Neu-Isenburg, und mit einem Mal war alle Leichtigkeit verflogen – und stattdessen die ganze Schwere zu spüren, die über diesem Jahr für die Nationalmannschaft liegt. Zwar versuchte Bierhoff den Fahrplan bis zur WM im November unter einem Aspekt von (Vor-)Freude zu skizzieren, aber er sagte auch: „Schwer, wie weit man sich in der aktuellen Weltlage freuen kann.“ Das, was derzeit in der Ukraine passiere, relativiere auch die Zeit im Zeichen des Coronavirus noch einmal, sagte er.
Spendenspieltag für die Ukraine
„Wir sind in Gedanken bei den Menschen, wir sind solidarisch mit ihnen, das beschäftigt uns.“ Als konkrete Hilfsmaßnahme ruft der Deutsche Fußball-Bund (DFB) an diesem Wochenende zu einem Spendenspieltag auf, bis hinunter in die Jugend- und Kreisebene soll Geld gesammelt werden, der Verband und die Stiftung der Nationalmannschaft wollen dann noch einmal um bis zu 200 000 Euro aufstocken. Am Samstag beim Länderspiel soll das „Peace“-Zeichen allgegenwärtig sein, auf den Jacken der Spieler und auf den Werbebanden etwa. Eine konkrete Aktion des Teams, sagte Bierhoff, sei bisher nicht geplant.
Sicher ist: Die Nationalmannschaft wird im Jahr 2022 nicht nur Höchstleistungen zeigen müssen, um den WM-Titel zu erobern, das Ziel bekräftigten Bierhoff und Kapitän Manuel Neuer am Dienstag noch einmal. Sie wird in diesem weltpolitischen annus horribilis auch in Sachen Verantwortung und Vorbildrolle mehr denn je unter Beobachtung stehen. Die Frage, was angemessen, was authentisch ist, was einem echten persönlichen Impuls entspringt und was vielleicht nur einem abstrakten Pflichtgefühl folgt, das alles wird die Spieler auf Schritt und Tritt verfolgen, nicht nur in Sachen Ukraine.
Menschenrechtslage in Qatar
Das zeigten auch Bierhoffs Ausführungen zu dem Thema, das bis vor vier Wochen noch den Fixpunkt des Problembewusstseins bildete: der Umgang mit Qatar, dem so miserabel beleumundeten WM-Gastgeber. Am Dienstagabend stand Bildungsarbeit auf dem Programm der Nationalspieler. Vertreter von Amnesty International und von Human Rights Watch waren zum Thema Menschenrechte geladen, auch Bernd Neuendorf, der neue DFB-Präsident, und Generalsekretärin Heike Ullrich wurden erwartet – Fortsetzung folgt, mit einer spezifischen Auseinandersetzung mit den qatarischen Verhältnissen, wie Bierhoff ankündigte: „Wir wollen uns ein tiefergehendes Bild verschaffen“. Kapitän Neuer begrüßte das: „Wir hatten auch in den letzten Jahren Turniere, wo es Missstände gab. Dementsprechend ist es gut, wenn wir besser informiert sind, als es früher der Fall gewesen ist.“
Das konnte man auch so verstehen: In der Vergangenheit war nicht immer alles so fundiert, wie der DFB es gerne darstellte. Und auch jetzt bleibt die Frage, was der Verband, was das Nationalteam aus dem Wissen macht. Darauf gibt es keine leichte Antwort. Bierhoff berichtete, dass er bei seinen vorherigen Besuchen in dem Emirat viele Gespräche geführt habe, mit dem deutschen Botschafter, mit Vertretern der International Labor Union (ILU) und der Qatar Foundation.
Er nahm für sich daher in Anspruch, die Dinge schon etwas differenzierter zu sehen, und das sollte auch bedeuten: nicht nur mit einer „rein deutschen Sichtweise“. Ihm sei vermittelt worden, dass in Qatar „Dinge angegangen“ worden seien, auch durch den WM-Einfluss, und er forderte, dass das nicht mit dem Turnierende aufhören dürfe. Aber er kam auch nicht umhin, die Beschränkung seiner Perspektive zu thematisieren. Wenn es das Nationalteam sonst auf schwieriges Terrain führte, sei es immer gelungen, eine Nähe zu den Menschen an den jeweiligen Orten aufzubauen. „Das“, sagte er, „fällt hier schwerer, weil der Kontakt zu den Einheimischen sehr restriktiv ist.“
Es dürfte nicht das einzige sein, was schwerer ist. Wenn nicht alles täuscht, ist auch das Publikum in der Heimat an einem Punkt angekommen, an dem es den Fußball mit anderen Augen sieht – und mit anderen Erwartungen.