Erstes Finale für Freiburg : Darauf eine Wasserdusche
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Mach mir mal den Trainer nass: Christian Streich ist nach dem 3:0-Sieg in Hamburg ein leichtes Opfer. Bild: Public Address
Nüchternheit als Prinzip – zumindest nach dem Spiel: Christian Streich lässt gegen den HSV Außenseiterfußball spielen und coacht den SC Freiburg so mit Kalkül und Klasse ins Endspiel um den DFB-Pokal.
Wer diesen Christian Streich vielleicht nicht jedes Wochenende aus nächster Nähe beobachten darf, sondern auf Anekdoten und Augenzeugenberichte angewiesen ist und ansonsten vor allem Fernsehbilder von Streich kennt, der gelangte am Dienstagabend entweder erstaunt oder gar nicht erstaunt zu der Erkenntnis: Streich ist wirklich so, wie alle sagen.
Ständig macht er etwas verglichen mit seinen Trainerkollegen Ungewöhnliches, allerdings macht er das seit Jahren so oft, dass das eigentlich weder ungewöhnlich noch kauzig ist. Es ist einfach Streich. Und in dieser Saison wird man das Gefühl nicht los, das alles, wirklich alles einem höheren Plan folgt.
Der Trainer des SC Freiburg schickte nach 20 Minuten vier Spieler zum Dehnen und Strecken. Eigentlich ist das ein Warnsignal an die Mannschaft. Zu diesem Zeitpunkt führte der SC aber 2:0 im Pokal-Halbfinale beim Hamburger SV. Später tobte Streich trotz der kommoden Führung auf der Bank, er kämpfte geradezu mit dem vierten Offiziellen, der ihn wie ein Ringrichter umarmte und auf ihn einredete. Man kennt die Bilder, und sie können ihm unmöglich gefallen. Noch in der Nachspielzeit rannte er wild grimassierend auf die HSV-Bank zu. Da sangen die 5000 Fans aus dem Südwesten längst von ihrer Reise nach Berlin.
Erst wie von Sinnen, dann der fairste Sportsmann auf Erden – als der gute Schiedsrichter Deniz Aytekin das Halbfinale des DFB-Pokals abgepfiffen hatte, ging Streich zielstrebig zu allen Menschen auf dem Rasen, die eine Raute auf der Kleidung hatten, nahm sie in den Arm, redete, hörte zu, strahlte aus jeder Pore Empathie aus.
Natürlich zog er das rote Final-T-Shirt, das die Freiburger vorbereitet hatten, nicht an, und als ihm das Fernsehen gerührte oder irgendwie denkwürdige, wenigstens Worte der Begeisterung entlocken wollte, kam da nicht viel: „Wenn wir im Finale nicht bestehen, waren wir wenigstens in Berlin.“ Oder: „Einige Jungs waren schon mal im A-Jugend-Finale in Berlin – und sie haben auch gewonnen.“ Oder: „Die Mannschaft war sehr diszipliniert. Die Jungs sind bereit, gegen den Ball zu arbeiten.“
Mit seinen Sätzen, mit seiner ganzen Nüchternheit, die seine Verrücktheiten auf der Bank kontrastiert, entzieht er sich nicht nur der fußballtypischen Überhöhung, er lässt seine Gesprächspartner irritiert zurück.
Als ihn ARD-Experte Bastian Schweinsteiger loben wollte, Schwachpunkte beim HSV ausgemacht und das eigene Spiel darauf abgestellt zu haben, antwortete Streich achselzuckend: „Na ja, was heißt Taktik. Man bereitet sich ein bisschen vor, und Vagnoman und Schonlau sind Rechtsfüße, die beide auf der linken Seite spielen.“
In Hamburg ließ der Langzeittrainer sein Team Außenseiterfußball spielen. Der HSV, nicht Freiburg, war optisch der Erstligaverein, viel mehr Ballbesitz, der HSV passte und passte, aber es passierte nichts, weil Freiburg die Hamburger in ungefährliche Räume lockte und dort die Pass-Orgien zuließ.
Streich gewährte dem HSV die seit Jahren gewohnte Rolle des Scheinriesen. Seine Mannschaft hingegen wartete auf Fehler, und als die passierten, schlug sie zu. Das Spiel war nach 35 Minuten gelaufen, als Freiburg 3:0 führte. Die Stunde bis zum 3:1-Endstand erinnerte mit der grandiosen Stimmung wechselnder Fangesänge nur daran, wie es früher einmal war im Volkspark.
In Tateinheit mit dem möglichen Erreichen der Champions League zeichnet sich eine historisch bedeutsame Freiburger Saison ab. Doch anstelle die Größe des Moments ergriffen zu deuten, sprach Streich später davon, wie gnadenlos der Fußball sei. Momentan sei sein Team erfolgreich, aber grundsätzlich könne es jeden erwischen, wie man doch gerade sehen könne, wo so viele Traditionsvereine in der zweiten Liga um den Aufstieg rangeln. Typisch Streich, werden langjährige Wegbegleiter sagen.
Immerhin jubelten, sangen und tranken seine Spieler angemessen. Und ja, sie duschten ihren Trainer vor laufenden Kameras – mit Wasser. Auch auf sie schienen Teile der Nüchternheit des Coaches übergegangen zu sein. „Wir sind so erfolgreich, weil immer einer für den anderen da ist“, sagte Nicolas Höfler schmucklos, der Torschütze zum 2:0 in der 17. Minute.
Zuvor hatte Nils Petersen das 1:0 nach einer der bekannt guten Freiburger Ecken geköpft (11.). Als Vincenzo Grifo seinen Elfmeter in der 35. Minute gekonnt ins Toreck schoss, war der Unterschied in Sachen Cleverness für alle endgültig sichtbar geworden. Später ließ der Sportclub den HSV anrennen, ohne dass viel mehr passierte als Robert Glatzels Kopfballtor zum 3:1 (88.).
Nur regional bedeutsam und irgendwie putzig im Auftritt ist dieser gut geführte Klub ja schon länger nicht mehr, auch wenn der Brustsponsor „Schwarzwaldmilch“ so nett nach Verbandsliga klingt. Im voll besetzten und feierbereiten Volksparkstadion boten die Freiburger Nationalspieler auf; Mark Flekken im Tor, den Österreicher Philipp Lienhart, Innenverteidiger Nico Schlotterbeck. Maximilian Eggestein und Vincenzo Grifo standen oder stehen an der Schwelle ihrer Auswahlteams. Man soll sich da nicht täuschen.
Zur Spitzenklasse der Bundesliga gehören die Freiburger nun auch nominell, und im Aufstieg liegt ja tatsächlich die Gefahr des Ausverkaufs, wie die Gerüchte um Schlotterbeck zeigen – die „Bild“-Zeitung hatte gemeldet, dass er im Sommer für 25 Millionen Euro Ablöse nach Dortmund gehen werde. Schlotterbeck dementierte am Abend des Spiels eine Einigung und genoss lieber den Moment, hatte er doch gewissermaßen seinen Onkel Niels gerächt, der im Juni 1987 auch im Pokalfinale gestanden hatte, mit den Stuttgarter Kickers aber 1:3 gegen den HSV verlor.
Ein Spiel übrigens, bei dem ein gewisser Christian Streich zum Kader der Kickers gehörte – mehr aber nicht: „Ich war auf der Tribüne. Ich war zu schlecht.“ 35 Jahre später wird Streich am 21. Mai wieder ein großes Endspiel in Berlin erleben. Aber – wahrscheinlich – nicht auf der Tribüne.