Wolfsburg gewinnt DFB-Pokal : Zu gut für den Rest
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Her damit! Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier überreicht den Pokal. Bild: Ralf Ibing /firo Sportphoto
Der VfL Wolfsburg holt sich mit dem DFB-Pokalsieg wieder das Double. Aber was sagt das über die Chancen der deutschen Fußballfrauen bei der bevorstehenden Europameisterschaft?
Die Bundestrainerin sah genau hin. Der Bundespräsident auch. Hätte man deshalb dezenter feiern sollen? Mit weniger Alkohol? „Man muss das alles mitnehmen“, sagte Almuth Schult. Sie war beim Jubeln und Trinken kaum zu bremsen. Jede Menge Bier und sogar Melonenschnaps kamen zum Einsatz, als die Fußballfrauen des VfL Wolfsburg zu ihrer nächsten Siegesfeier ansetzten.
Bereits zum achten Mal nacheinander ist das Ausnahmeteam Pokalsieger geworden. Der 4:0-Erfolg im Finale gegen Turbine Potsdam war ihnen leicht und locker gelungen. Für VfL-Torhüterin Schult und viele weitere Wolfsburger Spielerinnen diente die einseitige Begegnung als Empfehlungsschreiben für Größeres. Denn am 6. Juli beginnt in England die EM. Bis dahin steht die nüchterne Frage im Raum: Wie gut sind die besten deutschen Fußballerinnen wirklich?
In Wolfsburg tummelt sich die Elite
Einerseits wirkt die nationale Dominanz des VfL Wolfsburg wie eine Spaßbremse. Das Pokalfinale, vor 17.531 Zuschauern in Köln ausgetragen, bekam seine erwarteten Siegerinnen. „Die waren einfach zu stark“, gestand Potsdams Kapitänin Sara Agrez. Die Slowenin wechselt zum VfL Wolfsburg, weil sich dort die Elite tummelt. Und das ist die gute Nachricht einer schlechten Entwicklung.
In Wolfsburg ist in den vergangenen Jahren Stück für Stück etwas optimiert worden, wovon die deutsche Nationalmannschaft profitiert. Unter der Obhut von Sportdirektor Ralf Kellermann und Cheftrainer Tommy Stroot wird ein ohnehin chronisch starkes Team gezielt weiterentwickelt. Im Duell mit Turbine Potsdam wurde offensichtlich, dass die Wolfsburgerinnen spieltaktisch, technisch und physisch auf einem anderen Level spielen. „Eine Klasse besser“ findet Potsdams Isabel Kerschowski den VfL. Sie beendet ihre Karriere und hat mit der bevorstehenden EM nichts mehr zu tun.
Zwischen all den feuchtfröhlichen Feierlichkeiten, die am Sonntag auf dem Rathausvorplatz in Wolfsburg fortgesetzt wurden, war eines deutlich herauszuhören. Wenn Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg an diesem Dienstag ihren vorläufigen EM-Kader bekanntgibt, ist vor allem bei den routinierten Spielerinnen des VfL Wolfsburg die Angriffslust groß. Schult hat beim Pokaltriumph gegen Potsdam ihr letztes Spiel für die Niedersachsen bestritten. Bevor sie zu Angel City FC in die USA wechselt, möchte sie unbedingt noch einmal als Stammtorhüterin der Nationalelf glänzen.
Auch die erfahrene Alexandra Popp, nach zwei Knieoperationen auf dem Weg zurück zu alter Stärke, möchte an der EM nicht einfach nur teilnehmen, sondern sie am liebsten gewinnen. Beide haben über Jahre zu den Stützen einer DFB-Auswahl gehört, die nicht mehr automatisch Favorit auf einen internationalen Titel ist. „Einen klaren Favoriten gibt es eigentlich nicht mehr“, sagt Kathrin Hendrich mit Blick auf die EM. Die Wolfsburger Verteidigerin darf wie mehrere ihrer Teamkolleginnen auf eine EM-Nominierung hoffen – darunter Felicitas Rauch, Svenja Huth, Lena Oberdorf und Tabea Waßmuth.
„Eine extrem erfreuliche Entwicklung“
Genügend Selbstvertrauen für das Turnier in England, in dessen Vorrunde Deutschland auf Dänemark, Spanien und Finnland trifft, dürften die Wolfsburgerinnen gesammelt haben. Sie konnten die Liga dominieren und haben den VfL Anfang Mai zum achten Meistertitel geschossen. In der Champions League war erst im Halbfinale gegen den starken FC Barcelona das Ende der eigenen Möglichkeiten erreicht. Und für die Spielzeit 2022/23 stehen mit Jule Brand (TSG Hoffenheim), Marina Hegering (Bayern München), Schult-Nachfolgerin Merle Frohms (Eintracht Frankfurt) sowie Agrez schon jetzt vier hochkarätige Verstärkungen fest.
Wenn es nicht weitere Stammspielerinnen aus den Niederlanden, Island und Polen gäbe – der VfL Wolfsburg könnte glatt einen offiziellen Antrag als zweite deutsche Nationalmannschaft stellen. Dank einer Transferpolitik mit erstaunlich wenig Fehlentscheidungen und der akribischen Arbeit von Stroot geht es Schritt für Schritt voran. „Wir haben“, findet der sachlich auftretende VfL-Cheftrainer, „eine extrem erfreuliche Entwicklung genommen.“
Die beim Pokalfinale mit Abstand beste Wolfsburgerin wird bei der EM in England fehlen. Die lediglich 1,67 Meter große Ewa Pajor konnte sich mit Polen nicht für die Endrunde qualifizieren. Zwei Tore von ihr plus die Treffer durch Jill Roord und Dominique Janssen machten die Wolfsburger Überlegenheit gegen Potsdam zählbar.
Das sechste Double aus Pokal und Meisterschaft in der Vereinshistorie lässt den Rest der Liga in Ehrfurcht erstarren. „Das ist für mich eine wunderschöne Geschichte. Und wir schreiben sie weiter“, sagt Pajor. Sie wäre mit ihrem Tempo und ihrer Einsatzfreude die ideale Ergänzung für die deutsche Nationalelf. Und vielleicht war es nur ein Scherz, vielleicht gab es diesen Versuch wirklich, der nach dem Pokalfinale ausgeplaudert wurde. „Ich habe ihr mehrfach angeboten“, sagte Bundestrainerin Voss-Tecklenburg über die Torjägerin Pajor, „jemand Deutsches zu heiraten.“