Die zwei Seiten des Sports :
Es geht auch ohne Blauhelme

Von Michael Eder
Lesezeit: 2 Min.
Volle Kraft voraus: Bei Fußballspielen ist Freiburg-Trainer Christian Streich kaum zu bremsen.
Furie an der Seitenlinie, Philosoph nach dem Spiel: Fußballtrainer Christian Streich verkörpert das Jekyll-und-Hyde-Prinzip des Profisports wie kaum ein anderer. Muss das so sein? Eine Glosse.

Wie die Medaille, möchte ich behaupten, so hat auch der Sport zwei Seiten. Auf der einen Seite Dr. Jekyll, auf der anderen Mr. Hyde. Auf der einen Seite gefletschte Zähne, auf der anderen ein gewinnendes Lächeln. Zverev ist so einer, der dies verkörpert, oder Klopp. Aber keiner bringt diese beiden Seiten so eng zusammen wie Christian Streich, der Anführer des Freiburger Kicker-Kollektivs.

Der allseits verehrte Fußball-Trainer und Sozial-Lehrer wird im Wettkampf, wird in seinem mit weißer Farbe markierten, ansonsten unsichtbaren Käfig bei jedem Spiel des SC Freiburg zur Furie. Man will dann nicht der vierte Unparteiische sein, dessen Aufgabe dieselbe ist wie die der Pausenaufsicht auf dem Schulhof im Pro­blemviertel: Die Aufpasser sollen Friedensbrücken bauen, deeskalieren, sollen Tobende an die Grundzüge eines respektvollen Umgangs miteinander erinnern, sollen Beleidigungen, Handgreiflichkeiten und Schlimmeres verhindern. Quasi die Blauhelme in unseren Fußballstadien, nur vom DFB abgeordnet und nicht von der UN.

So, wie die Sportwelt sein sollte

Kein schöner Job jedenfalls, nicht auf dem Pausenhof und nicht im Fußballstadion. Und dann ist das Spiel vorbei. Oder es steht erst noch bevor. Und siehe da, Zverev, Klopp sind nun die Freundlichkeit in Person. Und erst Streich. Eine Vaterfigur für seine Spieler, Empathie in Vollendung, kein Zerberus mehr, sondern eine Friedenstaube. Gar ein Schwarzwald-Philosoph, wie ihn die „New York Times“ mal nannte.

Zwei Seiten einer Medaille. Zwei Seiten des Sports. Man kann sie auch woanders sehen und studieren. Man kann, was ich sehr empfehle, ab und zu mal seine Dauerkarte beim Profi-Kicker-Klub dem Neffen geben oder einem sonstigen Interessenten. Und sich mal die freie Sportszene vor Augen führen. Bei uns in der Stadt ist sie leicht zu finden. In einem Park haben lobenswerte Ämter ein paar Basketballplätze zur freien Verfügung angelegt, ein Volleyballfeld, ein paar Tennisplätze und einiges mehr. Wer will, kann hier spielen.

Basketball zum Beispiel, drei gegen drei. Harte Jungs treffen sich hier. Selbst organisiert. Anspruchsvoller, leidenschaftlicher Sport. Aber keine Vereine, keine Ligen, keine VIPs, kein Aufstieg, kein Abstieg, kein Kampf um Geld und Sponsoren. Keine Schiedsrichter, keine Blauhelme. Stattdessen Selbstkon­trolle.

Natürlich gibt es manchmal Ärger, aber das kriegen sie hier hin. Das Miteinander funktioniert. Der Respekt voreinander. Mehr Dr. Jekyll, weniger Mr. Hyde. Wenn ich zuschaue, denke ich manchmal, das hier im Park ist die Sportwelt, ist die Welt, wie sie sein sollte. Und drüben bei den Blauhelmen, das ist die Welt, wie sie ist. Nur mit größter Mühe im Gleichgewicht zu halten.